EISKALTE UMARMUNG: Poesie der Angst. Thriller
beklemmendes Gefühl. Sie drehte sich um und sah zum Ausgang.
An einem kleinen Tisch neben der Glastür saß ein Mann, der sie durch dunkle Brillengläser musterte.
Als er sie ansah, glaubte sie für einen Moment seine dunklen Augen sehen zu können. Mit einem Mal hatte das Gesicht ihrer Erinnerung Augen bekommen. Sie waren hohl, dunkel und kalt, und sie vermittelten eine Botschaft:
Ich bin in deiner Nähe. Ich werde immer in deiner Nähe sein.
***
„Anna!“
In der Ferne hörte sie Max’ Stimme, dann sah sie sein Gesicht. Er kniete neben ihr.
„Anna!“
Sie machte eine abwehrende Handbewegung. „Ist schon gut, mir fehlt nichts.“
„Dir fehlt nichts? Du bist gerade ohnmächtig geworden, also sag nicht, dass dir nichts fehlt.“
Sie hörte den besorgten Klang in seiner Stimme. „Ich bin nur … Ich glaube, ich bin vorhin zu schnell aufgestanden.“ Sie versuchte, sich aufzurichten, ließ den Kopf aber gleich wieder sinken.
„Warte, ich helfe dir. Pater Mateo lässt gerade den Wagen vorfahren. Er hat im Convento angerufen. Dort wird dich sofort ein Arzt untersuchen!“
„Lass mir nur ein bisschen Zeit, bis ich wieder klar im Kopf bin.“
Sie blickte zum Ausgang. Der Tisch neben der Tür war leer. Wahrscheinlich habe ich jetzt schon Halluzinationen, dachte sie.
Anna strich sich mit einer unwirschen Bewegung die Haare aus dem Gesicht, richtete sich vorsichtig auf und blieb einen Moment stehen, als traue sie ihren Beinen nicht.
„Ich habe zu viel Wein getrunken.“
„Anna?“
Pater Mateo schaute sie besorgt an. „Geht es wieder?“
Sie nickte. Max stützte sie. Sie straffte die Schultern und stolzierte mit erhobenem Haupt zur Tür hinaus; anschließend fuhren sie mit dem Wagen zum Convento di Carmo.
Im Badezimmer starrte sie in den Spiegel. Was sie dort sah, gefiel ihr ganz und gar nicht. Das Gesicht, das ihr entgegenblickte, war weder makellos noch gelassen. Ihr blondes Haar war wirr und ließ das Gesicht noch blasser wirken, als es ohnehin schon war.
Erneut überkam sie eine Welle der Übelkeit. Sie kniff die Augen zusammen und kämpfte mit aller Kraft dagegen an, hartnäckig und verbissen, als hinge ihr Leben davon ab. Sie presste die Hand auf den Mund und klappte den Toilettendeckel hoch. Keine Sekunde zu früh. Nachdem ihr Magen sich entleert hatte, verharrte sie noch eine Weile mit dem Kopf über der Schüssel.
Als die Übelkeit verflogen war, fühlte sie sich unendlich schwach. Sie setzte sich auf den Toilettendeckel und ließ sich erschöpft gegen den kühlen Marmor der Badezimmerkacheln sinken.
Wenige Minuten später verließ sie das Bad und ging zurück ins Schlafzimmer.
Max sah sie fragend an.
„Ich habe seine Augen im Café gesehen. Es waren seine Augen. Ich bin mir sicher. Und ich kenne ihn. Aber es ist, als würde ein Puzzleteil fehlen. Es ist noch nicht vorbei, Max.“
„Beruhige dich, Anna. Wen hast du gesehen?“
„Es waren die Augen des Mannes, der mich töten wollte.“
Sie sah noch, wie Max auf sie zukam, aber dann umschloss sie erneut die Dunkelheit.
***
Der freundliche Hotelarzt betrachtete zwei Stunden später das kleine Stäbchen in seiner Hand.
„Herzlichen Glückwunsch“, sagte er. „Sie sind schwanger.“ Die Augen hinter den dicken Brillengläsern waren hellwach und intelligent.
Anna griff nach Max’ Hand. „Schwanger? Max, hörst du das? Ich bin schwanger. Vielleicht habe ich mir alles nur eingebildet, weil mir schwarz vor Augen wurde. Wir bekommen ein Kind, Max!“
„Der Doc hat es mir vorhin schon gesagt, als ich vor Sorge verrückt zu werden drohte.“ Er nahm ihre Hand und küsste sie sanft.
„Nun, dann darf ich mich jetzt von Ihnen verabschieden.“ Der Arzt schloss seine Tasche.
„Nehmen Sie bitte diese Eisentabletten, täglich eine. Und ab sofort wenig Alkohol und Kaffee, viel Obst und Gemüse, frische Luft und, äh“, er räusperte sich, „Sex ist erlaubt.“
***
Beim Abendessen teilten sie Pater Mateo die Neuigkeit mit.
„Was sollen wir jetzt bloß machen, Pater?“, fragte Anna. „Ich kann Max nicht heiraten. Ich bringe ihn in Gefahr. Und ich verlange nicht, dass er mich heiratet, bloß weil ich ein Baby erwarte. Ich will nicht, dass dieser Mann, den ich heute gesehen habe, auch ihm etwas antut.“
Max stand auf und verschloss ihr mit seinen Lippen den Mund, um weiteren Widerworten Einhalt zu gebieten. „Anna, was redest du denn da für dummes Zeug?“
Pater Mateo räusperte sich. „Anna, die Wut, die dieser Mann
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