Eiskalte Verfuehrung
die Sache anders. Er hätte nicht übel Lust, sie aufzuspüren, bloß um ihr mitzuteilen, was für ein rücksichtsloses Miststück sie war.
Aber es bestand ja auch die Möglichkeit, dass er sie wirklich da oben antraf – cool und unbeteiligt wie immer und überrascht, dass er inmitten eines beschissenen Eissturms vor ihrer Tür stand, wo er doch zu Hause bei seinem Sohn sitzen könnte. Verflucht, er setzte hier sein Leben aufs Spiel, um sie da runterzuholen! Und diese Tatsache machte ihn gleich noch wütender. Er wollte schließlich für Sam am Leben bleiben; sein kleiner Junge hatte schon seine Mutter verloren, und für einen Vierjährigen war das damals eine arg schwere Zeit gewesen. Gott sei Dank hatten sie einander, als Mariane starb. Er konnte sich nicht vorstellen, wie er das alles ohne Sam durchgestanden hätte. Was würde Sam machen, wenn ihm jetzt etwas zustieße? Gabriel wollte lieber gar nicht weiterdenken.
Der Ford kämpfte sich langsam die Bergstraße hinauf, aber er spürte, wie die Räder immer wieder durchdrehten, spürte, wie der Wagen rechts ausbrach, als der Straßenbelag glatter wurde. Je höher er hinaufkam, desto übler würde es werden.
Dieser Gedanke hatte sich gerade bei ihm manifestiert, als er vorsichtig eine Rechtskurve nahm. Die Reifen schlitterten, der Wagen brach seitlich aus, erst die Straßenneigung, so geringfügig sie auch war, brachte ihn am Ende der Kurve wieder auf Kurs. Dann verloren die linken Reifen den Kontakt mit dem Asphalt, und er schlitterte auf den Seitenstreifen, gefährlich nah an den äußeren Rand, wo nichts weiter war als der steile Abhang.
Gabriel stellte die Gangschaltung auf neutral, damit die Reifen nicht mehr griffen, und ließ den Ford wieder in Richtung Innenkurve gleiten. Er hatte keine Bodenhaftung, die Möglichkeit zu bremsen bestand also nicht, er musste mit dem Schwung des Wagens arbeiten, um ihn vom Abgrund weg in Richtung Berg zu lenken. Mit einem dumpfen Geräusch fuhr das rechte Vorderrad auf den unbefestigten Randstreifen, der sich innen an der Straße entlangzog. Gerade als Gabriel aufatmete, merkte er, wie der Wagen sich neigte. Ein Graben. Bevor ihm klar wurde, was das bedeutete, grub sich die Stoßstange des Ford in den weichen Morast, und er kam zum Stehen.
Gabriel fluchte, als er durch die vereiste Windschutzscheibe auf die Straße vor sich starrte. Sein Pick-up würde es niemals diesen Berg hinaufschaffen, und er wollte es auchgar nicht mehr versuchen. Es fiel noch immer Regen, jetzt so tückisch leicht, dass er nicht abfloss, sondern direkt zu Eis gefror. Dies war der schlimmste Regen überhaupt – ein langsamer, leichter Regen, bei dem man unmöglich Auto fahren konnte.
Mit einem flauen Gefühl in der Magengrube warf Gabriel einen Blick über die Schulter auf die Straße hinter sich. Verfluchter Mist! Wenn er eine Stunde früher in der Stadt angekommen wäre, hätte er den Weg zum Haus der Heltons und wieder zurück problemlos geschafft. Wenn er eine Stunde später eingetroffen wäre, wäre es bereits unmöglich gewesen, überhaupt so weit zu kommen. Stattdessen war er genau zu dem Zeitpunkt angekommen, der ihn auf halber Höhe in eine solche Scheißsituation hatte geraten lassen.
Er würde den restlichen Weg zu Fuß gehen müssen.
Gabriel tauschte seine Kappe, die er bei jedem Wetter trug, gegen eine Wollmütze aus, die er sich über die Ohren ziehen konnte, zwängte sich in den Regenponcho mit Kapuze, den ihm seine Mutter mitgegeben hatte und zog dann seine Handschuhe an. Seine Stiefel waren wasserdicht und warm, sodass er für das Wetter zumindest anständig angezogen war.
Er packte die Taschenlampe und stieg aus dem Ford; die Tür knallte er zornig zu, noch immer vor sich hinfluchend. Er benutzte alle Schimpfwörter, die er im Laufe der Jahre beim Militär gelernt hatte – und das waren jede Menge. Warum auch nicht? Keiner konnte ihn hören, weil ja schließlich jeder mit einem Funken Verstand im Hirn irgendwo im Innern eines Hauses war und sich auf den Sturm vorbereitete. Nur er nicht. Nein, er musste bei diesem verdammten Sturm draußen sein und den edlen Ritter spielen, der ein verfluchtes Weib rettete.
Gabriel senkte den Kopf, zog sich die Mütze weiter herunter, um seine Ohren zu schützen, und zurrte den Riemen der Ponchokapuze fest, damit sie ihm nicht vom Sturm weggerissen wurde. Das Letzte, was er gebrauchen konnte, war, einen nassen Kopf zu bekommen. Er ging zum Straßenrand, denn er fand auf dem schmalen, von
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