Eiskalte Versuche
wohnen hier im Hotel.“
„Ich verstehe“, sagte Jack.
„Für die Anmeldung brauche ich eine Kreditkarte von Ihnen, Sir. Wenn Sie so freundlich sein würden.“
Er zog eine Karte aus seiner Brieftasche und legte sie auf den Tresen. Während die Angestellte sie durch das Lesegerät zog, sah er sich in der Lobby um. Wie das Gebäude selbst besaß auch die Halle beträchtliche Ausmaße, wenn man die menschenleere Gegend bedachte, in der das Hotel stand.
„Ein wunderbares Haus mit beeindruckender Architektur“, sagte er.
Die Empfangsdame lächelte.
„Ja, nicht wahr? Es wurde um das Jahr 1900 erbaut, von einem wohlhabenden Rancher, der später in der Wirtschaftskrise sein gesamtes Vermögen verlor. Danach hatte das Haus mehrere Besitzer, bis schließlich Samuel Abbott es in den siebziger Jahren kaufte.“
„Interessant“, sagte Jack. „Ich schließe daraus, dass Dr. Abbott und Franklin Walton miteinander befreundet waren.“
Die Empfangsdame blickte auf, ein wenig verwundert über das Interesse des Fremden.
„Ja. Mr. Walton hatte hier sein Zuhause, wie alle anderen Onkel von Isabella.“
„Isabella?“
„Dr. Abbotts Tochter.“
„Wie alle anderen Onkel? Wollen Sie damit sagen, der Ermordete war Isabellas Onkel?“
„Nein, es bestand keine Blutsverwandtschaft, aber Isabella sagte trotzdem Onkel zu ihm.“
Er nickte. „Ich verstehe, was Sie meinen. Als ich noch ein Kind war, unten in Louisiana, sagten wir auch Onkel zu den älteren Männern im Ort. So erwiesen wir ihnen unseren Respekt.“
„Ja, genau“, sagte die Angestellte und reichte ihm den Schlüssel. „Ihr Zimmer liegt im zweiten Stock, Nummer 200. Es ist die erste Tür rechts neben der Treppe.“
„Ich habe gesehen, das Haus verfügt über drei Stockwerke. Kann man auch ganz oben ein Zimmer mieten? Ich wohne gern hoch.“
Sie schüttelte den Kopf.
„Nein, Sir. Tut mir Leid. Im dritten Stock befinden sich die Wohnungen der Onkel.“
Wieder ein paar nützliche Einzelheiten in Erfahrung gebracht.
„Nun ja.“ Jack schenkte ihr ein offenes Lächeln. Er wollte nicht, dass sie seine Neugier befremdlich fand. „Hätte ja sein können. Fragen schadet schließlich nicht.“
Bezaubert durch das Lächeln, errötete die Empfangsdame. Der hoch gewachsene Gast erinnerte sie an einen Filmschauspieler, für den sie schwärmte, nur war dieser Mann etwas älter und hatte ein ausgeprägteres Kinn. Delia bewunderte Männer mit markanten Gesichtszügen.
„Wenn wir sonst noch etwas für Sie tun können, fragen Sie nur. Das Frühstück wird ab sechs Uhr morgens serviert, und die Küche bleibt bis elf Uhr abends geöffnet. Sie können jederzeit von der Karte bestellen.“
„Danke“, sagte Jack. Er nahm seine Tasche und ging durch die Halle zur Treppe. Am Aufgang hob er den Kopf und erstarrte. Sein Blick blieb auf dem Gemälde haften.
Die Frau auf dem Porträt sah umwerfend aus. Dichtes schwarzes Haar umrahmte ein herzförmiges Gesicht. Ihre Züge waren fein geschnitten, und die Haut schimmerte wie zartes Porzellan. Aber die Augen drückten eine Traurigkeit aus, die er noch nie bei einem Menschen gesehen hatte.
„Was für eine Schönheit!“
„Ja, nicht wahr?“ sagte Delia. „Das ist die verstorbene Isabella Abbott, Dr. Abbotts Frau.“
„Sie ist tot?“ Der Gedanke löste einen dumpfen Schmerz in ihm aus.
„Ja, seit fast dreißig Jahren. Sie starb bei der Geburt ihres Kindes.“
Jack trat einen Schritt näher an das Bild, gebannt durch den rätselhaften Ausdruck auf dem Gesicht der Frau.
Hinter ihm klingelte ein Telefon. Das Geräusch ließ ihn zusammenfahren. Die Empfangsdame begann eine Unterhaltung mit jemandem am anderen Ende der Leitung. Jack stieg weiter die Treppe hinauf. Auf dem Absatz stand er dem Gemälde in Augenhöhe gegenüber. Die Frau sah ihn direkt an, mit einem flehenden Blick, den er nicht zu deuten wusste.
Ihm stockte der Atem. Sein Mund wurde trocken. Nur mit Mühe konnte er sich von dem Bild lösen und ging weiter. Als er im zweiten Stock den Schlüssel ins Schloss seiner Zimmertür steckte, zitterten seine Hände noch immer. Er öffnete, trat in den Raum und verriegelte die Tür von innen. Ohne auf die geschmackvolle Einrichtung mit europäischen Stilmöbeln zu achten, stellte er seine Tasche ab und sank auf die Bettkante.
Im Zimmer roch es wie im Haus seiner Großmutter – nach Lavendel und Rosen; dazu leicht modrig, was nicht auf mangelnde Sauberkeit schließen ließ. Alte Häuser hatten immer diesen
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