Eiskalte Versuche
einer Handbewegung vorwärts.
Im Mittelgang zwischen den Bänken ließ Paulo sich auf ein Knie nieder und murmelte ein Gebet, in dem er um Vergebung bat. Dann ging er weiter nach vorn, auf den schwachen Lichtschein zu, der über dem Altar schimmerte.
„Dort ist es“, sagte Antonio. „Francesco, du hast den Glasschneider. Paulo, du gehst ihm zur Hand. Ich passe auf, dass keiner kommt. Und beeilt euch. Sonst lastet am Ende auch noch ein toter Priester auf eurem Gewissen.“
Paulo bekreuzigte sich ein weiteres Mal und folgte unter Gemurmel seinem Cousin die Stufen hinter dem Altar hinauf zu einem länglichen Kasten, der fast vollständig aus Glas bestand. Der Behälter war ungefähr siebzig Zentimeter breit, siebzig Zentimeter tief und knapp einen Meter dreißig lang. Er stand in einer Nische, die in die dicke Steinwand der Kirche geschlagen war. Francesco beugte sich vor und spähte auf die Messingplatte, die man unter dem Glaskasten angebracht hatte.
St. Bartholomeo, 1705-1735
Ein Schauer, wie bei einer bösen Vorahnung, rieselte über Francescos Rückgrat. Er schüttelte die Empfindung ab und gab Paulos albernen Reden die Schuld. Für den Diebstahl von ein paar Knochen würden sie nicht verflucht werden, wenigstens nicht mehr als für ihre vergangenen Taten.
„Hilf mir“, befahl er. Mit vereinten Kräften wuchteten sie den Glassarg aus der Nische und stellten ihn auf den Kirchenboden.
„Halt mal“, sagte Francesco und reichte seinem Cousin seine Taschenlampe.
Paulo nahm sie in Empfang. Seine Hände zitterten. Als der Lichtstrahl den alten, gelblich verfärbten Knochenschädel im Innern des Glaskastens traf, drehte sich sein Magen um.
„Heilige Mutter Gottes, Jungfrau Maria, vergib mir diese Sünde.“
Sekunden später war das schwache Knirschen von Metall auf Glas zu hören. Francesco kniete an der Rückseite des Sarges und schnitt ein sauberes Rechteck heraus.
Eine Minute verging, dann noch eine und wieder eine. Obwohl der Abend kühl war, tropfte Schweiß von seiner Stirn auf das Glas. Das Zittern von Paulos Händen war so stark, dass er einmal fast die Taschenlampe fallen ließ. Es brauchte ein scharfes Wort von Antonio und einen Schlag auf den Hinterkopf, damit er sich zusammennahm.
Plötzlich wippte Francesco auf den Fersen nach hinten. In der Hand hielt er ein längliches kleines Rechteck aus altem Glas.
„Ich bin durch“, flüsterte er.
Antonio fuhr herum. Seine Augen glitzerten begierig. Er nahm Francesco das Glas aus der Hand und legte es vorsichtig auf den Altar. Dann zog er einen Jutesack unter seiner Jacke hervor und warf ihn Francesco hin.
„Hier. Du weißt, weshalb wir da sind. Hol es jetzt heraus.“
Francesco starrte in den kleinen Sarg und betrachtete die mürbe wirkenden Knochen. Er kannte Menschen, die zu St. Bartholomeo beteten, um gesund zu werden – und er kannte welche, die Heilung gefunden hatten. Gebeine, die so heilig waren, konnte er nicht entweihen. Das brachte er nicht über sich, nicht einmal für so viel Geld.
„Ich kann nicht.“ Er erhob sich und reichte den Sack an Antonio zurück.
Antonio fluchte. Er schob die beiden Männer beiseite und ging in die Knie.
„Die Lampe“, flüsterte er. „Halte die Taschenlampe so, dass ich etwas sehen kann.“
Paulo neigte den Winkel, sodass die Überreste des heiligen Mannes hell angestrahlt wurden.
Antonio schob die Hand durch das Loch, das Francesco geschnitten hatte, und befingerte die Gebeine, als wären es Holzscheite, unter denen er die passenden auswählte. Schließlich entschied er sich für einen Knochen vom Unterarm und einen vom Handgelenk, an dem noch ein Lederrest haftete.
Er warf beide in den Sack und kam eilig wieder auf die Füße.
„Hast du den Kleber?“ fragte er.
Francesco nickte.
„Dann setz das Glas wieder ein und stellt den Kasten an seinen Platz zurück. Wir sind schon viel zu lange hier.“
„Man wird die Beschädigung sehen können“, sagte Francesco.
Antonio schnaubte. „Aber nicht so leicht. Wenn sie entdeckt wird, sind wir längst weg.“
Innerhalb von Minuten befanden sich abzüglich zweier Knochen die sterblichen Überreste von St. Bartholomeo wieder in der Nische. Das Trio schlüpfte aus der Kirche und kehrte auf die Straße zurück. Niemand hatte sie gesehen – nur Gott. Hastig begaben sie sich zu einem Weg, der aus dem Dorf führte. Als keine Häuserdächer mehr zu sehen waren, vollführte Antonio einen Freudentanz.
„Wir haben es geschafft!“ rief er. „Bald
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