Eiskalte Versuche
Wo war er eigentlich? Wie war er an diesen Ort gekommen? Und warum zum Teufel hatte er kaum noch Gefühl im linken Bein? In diesem Moment wehte der Wind eine Haarsträhne von Isabella an seine Lippen, und alles fiel ihm wieder ein: Er selber an der Cañonkante, ihr Atem an seinem Gesicht, Isabella in seinen Armen, ihr Picknick und das Versprechen von sehr viel mehr zwischen ihnen. Er veränderte seine Lage und senkte den Blick. Isabella lag in seinen Armen. Sie war fest eingeschlafen. Ein Bein lag auf seinem Oberschenkel, ihre Wange ruhte an seiner Brust.
Jack sah auf die Armbanduhr. Es war gleich vier Uhr. Sie hatten fast zwei Stunden geschlafen. Am Himmel waren Wolken aufgezogen. Es würde sicher bald regnen. Er stemmte sich mit dem Ellenbogen hoch, Isabella glitt von seinem Oberkörper und schlug die Augen auf. Auf ihrem Gesicht zeichnete sich Schreck ab. Er konnte ihn nicht verhindern, so wenig wie den Kuss, den er im Begriff war, ihr zu geben.
„Du bist so schön“, flüsterte er.
Isabellas war noch nicht völlig wach, doch was geschehen würde, wusste sie sofort. Am meisten verwirrte sie, wie sehr sie sich danach sehnte, in Jacks Armen zu liegen, mit nichts zwischen ihnen als ihrer Leidenschaft. Sie hob die Hand an sein Gesicht. Seine Wange war rau vom frischen Bartwuchs, und sie spürte einen zuckenden Muskel am Unterkiefer.
„Ich bin nicht sehr erfahren in diesen Dingen“, sagte sie leise.
Er hauchte einen Kuss auf ihr Kinn und zeichnete mit der Zunge den Umriss nach.
„Aber ich“, erwiderte er.
„Ich bin ungeschützt.“
Jack schüttelte den Kopf, küsste ein Augenlid, dann das andere.
„Du bist geschützt. Du hast mich.“
„Ich habe gemeint …“
Er legte einen Finger auf ihre Lippen und hinderte sie, die Erklärung auszusprechen.
„Ich weiß, was du gemeint hast.“ Er küsste ihren Nasenrücken. Dann nahm er ihr Gesicht zwischen beide Hände. „So weit wird es nicht gehen.“
Isabella seufzte. „Bring mich irgendwohin, wo ich noch nie war.“
Er schlang die Arme um sie und rollte mit ihr herum, bis sie auf ihm lag. Dann barg er sein Gesicht an ihrer Schulter. Als Isabella den Kopf hob und ihn ansah, überwältigte ihn ein Gefühl der Zärtlichkeit. Er meinte, sein Herz müsse bersten. Er wollte sie halten, sie liebkosen und nie wieder gehen lassen.
„Du fühlst dich so himmlisch an in meinen Armen.“
„Kann ich dir vertrauen?“ fragte sie.
Schuldgefühle beschlichen ihn. Er wollte die Augen abwenden vor diesem offenen, ahnungslosen Blick. Der innerliche Zwiespalt war nicht mehr zu leugnen.
Sein Zögern kam unerwartet. Plötzlich wurde Isabella nervös.
„Jack?“
„Ich kann es nicht“, murmelte er halblaut. „Nicht so. Nicht ohne die Wahrheit.“
Hätte er sie geschlagen, wäre der Schock kaum größer gewesen. Befangen und verletzt, sprang sie auf die Füße und wandte ihr Gesicht dem Wind entgegen.
„Wir müssen los“, sagte sie. „Es ist spät.“
Innerhalb von Sekundenbruchteilen war Jack ebenfalls auf den Beinen und stand hinter ihr. Die Verletztheit in ihrer Stimme war unüberhörbar. Er hasste sich dafür, dass er zu weit gegangen war. Als er die Hände nach Isabella ausstreckte, wehrte sie ihn ab. Sie riss die Decke vom Boden und ging mit großen Schritten entschlossen zum Wagen.
„Isabella … bitte, nicht.“
Sie warf die Decke in den Kofferraum und drehte sich um. Der Wind war schärfer geworden. Er fuhr unter ihr Haar und wirbelte es wie lange seidige Schwingen hoch.
„Was nicht? Soll ich mir nicht dumm und albern vorkommen? Dafür ist es zu spät. Jetzt komm, bevor wir hier oben im Schnee festsitzen.“
Ohne darauf zu warten, dass er ihrer Aufforderung nachkam, stieg sie in den Wagen und schlug die Tür zu.
Jack war verdutzt. Er warf einen beunruhigten Blick zum Himmel und stieg ebenfalls ein.
„Würdest du mir erlauben, dass ich etwas erkläre?“
Sie sah ihn kurz an und drehte den Kopf wieder weg.
„Da gibt es nichts zu erklären“, sagte sie. „Du bist hier, um Eindrücke von Land und Leuten zu sammeln. Offensichtlich hast du bekommen, was du brauchst. Willst du lieber, dass ich fahre?“
Jack stieß einen halblauten Fluch aus. Er ließ den Wagen an, wendete und fuhr auf die Straße zurück, über die sie gekommen waren. Draußen dämmerte es, und keiner von beiden redete. Nur einmal hielten sie unterwegs an einer Tankstelle an. Als sie Abbott House erreichten, war es bereits dunkel. Die erleuchteten Fenster ließen das Hotel
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