Eiskalte Versuche
hat?“
„Das ist nicht fair“, schluchzte sie.
„Das Leben ist selten fair.“
„Dann sag mir, worum es wirklich geht. Hilf mir zu verstehen, damit ich dich nicht hassen muss.“ Ihre Stimme brach. Isabella lehnte sich gegen die Tür. „Ich will dich nicht hassen, Jack Dolan. Oh, mein Gott … das will ich wirklich nicht.“
Ihren Schmerz zu sehen zerriss ihn. Er fühlte sich wie ein Schuft.
„Dann tu es nicht. Du entscheidest selbst … und darum geht es. Wir führen unser Leben nach den Entscheidungen, die wir treffen.“
„Machst du es dir nicht zu leicht?“
„In meinem Job ist nichts leicht, Isabella. Mach nicht den Fehler und deute die Tatsache, dass ich etwas für dich empfinde, als Schwäche. Was immer notwendig ist, um diesen Fall zu lösen, werde ich tun.“
„Dann genieße dein Essen. Ich wünsche dir eine gute Nacht. Hoffentlich schläfst du ruhig, Jack Dolan.“
Sie war verschwunden, so rasch wie sie gekommen war. Er sah zu dem Tablett auf dem Schreibtisch. Das Essen würde im Abfall landen. Seine Kehle fühlte sich plötzlich merkwürdig eng an. Er konnte nicht mehr schlucken.
13. KAPITEL
E s war halb drei Uhr nachts, als Wasili Rostow Abbott House erreichte. Er hielt sich im Schatten der Büsche, die das Haus umgaben, und schlich zur Rückseite des Hauptgebäudes. Bei den Müllcontainern blieb er stehen. Bis auf die Nachtbeleuchtung in der Halle und auf den Korridoren brannte nirgends Licht. Dieser Anblick war ihm vom Fenster seines Zimmers im Gärtnerschuppen her vertraut.
Rostow fragte sich, ob sein Verschwinden im Hotel schon bemerkt worden war. Die Chancen standen gut, dass man ihn noch nicht vermisste. Es gab keinen Grund, dass jemand vom Hotel nach Sonnenuntergang den Gärtner suchte. Er hatte die ihm zugewiesene Arbeit beendet und dann Feierabend gemacht. Einen Auftrag fehlerfrei zu erledigen war Ehrensache für ihn. Was er zusagte, führte er auch aus, selbst wenn es nur um Heckenschneiden und Rasenmähen ging.
Er dachte an seinen Vorgesetzten, der ihn hierher in dieses Land geschickt hatte. Auch er erwartete, dass er sein Wort hielt. Rostow hatte nicht zuletzt deshalb überlebt, weil er begriffen hatte, wie der Kommunismus funktionierte. Wenn ein Vorhaben scheiterte, brauchte man einen Schuldigen, der die Folgen tragen musste. Den Vorwurf, er hätte einen hochrangigen Wissenschaftler entkommen lassen, ließ er sich nicht machen. Er hatte Wort gehalten und Vaclav Waller aufgespürt. Dass der alte Mann lieber von eigener Hand gestorben war, statt mit ihm zurückzugehen, war nicht seine Schuld.
Zu dem Plan, den er jetzt verfolgte, hatten ihn äußere Umstände gezwungen. Freiwillig hätte er diesen Weg nicht eingeschlagen. Für die Übergangszeit brauchte er Geld, denn er musste untertauchen, wenn er überleben wollte.
Rostow betastete den Schlüssel in seiner rechten Tasche und überdachte noch einmal die räumlichen Gegebenheiten im Erdgeschoss des Hotels. Es gab vier Möglichkeiten, wie er mit Isabella aus dem Gebäude herauskam: durch die Vordertür, durch den Notausgang hinten im Korridor zur Privatwohnung, durch den Lieferanteneingang in der Küche und durch die Terrassentüren. Die Chancen standen gut für ihn. Er konnte sich nicht vorstellen, was ihn an der Durchführung seiner Tat hindern sollte. Die einzigen Bewohner des Hotels waren fünf alte Männer, einige Paare, die sich verzweifelt ein Kind wünschten, und dieser Schriftsteller. Sie würden ihm nicht in die Quere kommen.
Rostow betastete von außen seine linke Jackentasche und vergewisserte sich, dass er die Injektionsspritze dabeihatte. Bei Waller war sie nicht zum Einsatz gekommen, aber nun würde sie ihren Zweck erfüllen. Weiter die Schatten nutzend, huschte er über das Grundstück, bis er beim Lieferanteneingang war. Innerhalb von Sekunden hatte er das veraltete Türschloss geknackt.
In der Küche blieb er stehen und lauschte auf verräterische Geräusche, aber anscheinend hatten sich alle Bewohner bereits auf ihre Zimmer zurückgezogen. Glück für ihn, dass das Hotel wie eine Familienpension geführt wurde. Die Vordertür blieb nach Mitternacht zugesperrt, am Empfang gab es keinen Nachtportier, und die Küche schloss um elf Uhr abends. Die Gäste und Dauerbewohner lagen sicher längst in tiefem Schlaf, was seinem Vorhaben nur nutzen konnte.
Er schlich auf seinen Gummisohlen in den Speisesaal und von dort in die Lobby. Erst als er sicher sein konnte, dass er allein war, hielt er sich nicht mehr
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