EISKALTER SCHLAF: Poesie des Bösen: Thriller (German Edition)
gebeten, die Finger von Kokain und Ecstasy zu lassen, aber sein Bruder hatte noch nie auf ihn gehört. Calum glaubte, den Grund zu kennen. Ihr Vater war großartig darin gewesen, seine Söhne auf Leistung zu trimmen, dabei aber ihre Anstrengungen zu ignorieren oder gar abzuwerten. Calum hatte das nicht gestört, aber Gordon war daran fast zugrunde gegangen.
Die kleine Charis konnte Nathan allerdings um den Finger wickeln und hatte im Laufe der Jahre eine ganz eigene, kindliche Taktik im Umgang mit ihm entwickelt, die Calum bewunderte. Das neunjährige Mädchen bot seinem Vater die Stirn wie sonst niemand. Allein deshalb wird Nathan die Kleine mit Sicherheit früh in die Geheimnisse von Lux Humana einweisen, dachte er.
Er hatte sich seinem Vater niemals untergeordnet. Nathan hatte seinen Söhnen weder genug Aufmerksamkeit noch Fürsorge entgegengebracht, um diesen Vertrauensbeweis möglich zu machen. Die Erziehung hatte aus ihm einen starken Mann gemacht, der einen festen Platz in der Gesellschaft und im inneren Kreis von Lux Humana gefunden hatte. Gordon dagegen war schwach und seit seinem dreizehnten Lebensjahr ein Junkie.
Calum hätte jetzt gerne seine lustvoll kreischende Freundin Kate im Pool hinter sich hergezogen, ihr auf das Hinterteil geklatscht, wäre mit ihr getaucht und hätte sie umarmt und kühles Salz von ihren warmen Lippen geküsst. Stattdessen gab er den Aufpasser und beobachtete Gordon dabei, wie er einen Schwan in ein Crain-Grab bettete. Er kräuselte verächtlich die Lippen. Ein Blick auf seine Armbanduhr zeigte, dass schon zwei Stunden vergangen waren. Es wird Zeit, nach Torrisdale Castle zurückzukehren, dachte er.
Plötzlich hörte er den Schrei. Er runzelte die Stirn. Was war denn jetzt schon wieder los?
Als Gordons Schreie lauter wurden, rannte Calum zu ihm, streckte seine Arme aus und drückte seinen schluchzenden Bruder an sich. Noch immer stand er unter dem Einfluss von Drogen, die ihn stöhnend im wirbelnden Strom der Eindrücke versinken und in seine Innenwelt eintauchen ließen.
„Ich habe sie gesehen, und jetzt bin ich eine Gefahr, eine Bedrohung für sie, Calum. Aber sie dürfen mich nicht töten“, wimmerte Gordon. „Bitte …“ Gordon schluckte. „Bitte, Calum. Sag ihnen, dass sie es nicht … Lux Humana darf mich nicht töten. Diese Männer dürfen mich nicht umbringen. Ich will nicht sterben, Calum. Bitte. Hört mich denn niemand?“
Diesen Klang hatte Calum bei ihm noch nie vernommen, nicht einmal in Ekstase. Sein Blick glitt über den ausgemergelten Körper. Der Wind und das Morgenlicht liebkosten das junge Gesicht, das unter dem Dreitagebart zartviolett schimmerte.
Gordons Lippen formten seltsame Worte, die Augen, trübe und verwundbar, sahen nach innen oder rollten unkontrolliert hin und her. Calum wurde von Zorn ergriffen. Er beugte sich vor und hielt seine Lippen ganz nah an Gordons Ohr.
„Niemand will dich töten. Aber wenn du dich nicht auf der Stelle zusammenreißt, bringe ich dich tatsächlich um. Dann kannst du deinem Schwan dort unten Gesellschaft leisten. Hast du mich verstanden?“, flüsterte er.
„Aber … Aber ich kenne sie. Ich kenne das Mädchen dort unten im Wasser. Es ist Aileen aus dem Internat.“
„Gordon, da liegt kein Mädchen. Und Aileen ist auf Torrisdale Castle und hat Besuch von einer Freundin. Du hattest eine Halluzination, verdammt noch mal! Reiß dich zusammen und lass endlich die Finger von den Drogen!“
Plötzlich sprang Gordon auf, reckte die Arme dem Himmel entgegen und schrie: „Erbarme dich meiner Qualen!“
Calum ballte die Fäuste, dann schlug er zu. Sein Bruder stürzte zu Boden. Er packte ihn an beiden Armen und zog den bewusstlosen Körper zum Bentley.
Kapitel 1
Hongkong-Kowloon, 3. Oktober 2011
Um ein Uhr früh wurde Robert Faber in seiner Hotelsuite durch ein Gewitter aus dem Schlaf gerissen. Ein Windstoß packte die Jalousien und zerrte an ihnen. Der Tag in Hongkong war windig gewesen. Bei Einbruch der Dunkelheit hatte es eine Sturmwarnung gegeben, und schon brachen Böen mit fünfzig Knoten und mehr aus der Front hervor, die sich bis weit nach Süden erstreckte. Das Peninsula Hotel bot üblicherweise Ruhe in Fünf-Sterne-Qualität mit britischem Gütesiegel, doch jetzt zuckten die Blitze, und Regen peitschte gegen die Fenster.
Robert Faber, der Vorstandsvorsitzende und Hauptaktionär der Faber-Pharma-AG, rieb sich erstaunt die Augen. Er konnte sich nicht erinnern, in Deutschland jemals ein so heftiges
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