EISKALTER SCHLAF: Poesie des Bösen: Thriller (German Edition)
gefesselten Füßen mit voller Wucht gegen die Badezimmertür. Dann robbte sie hinein. Der Boden war feucht, und sie begriff in einer Aufwallung von Panik und Verzweiflung ihren grausamen Irrtum. Es war still im Haus, totenstill, kein Geräusch, kein Stimmengemurmel, nichts, nur das Brummen der Fliegen in der Badewanne.
„O Gott“, murmelte sie zitternd, „was, um Himmels willen …?“
Sie sah das Telefon auf dem Waschtisch liegen und schrie etwas hinein. Dann fiel sie in eine tiefe Ohnmacht.
Kapitel 33
München – Polizeipräsidium
„Mordkommission, van Cleef am Apparat.“
„Neumann hier. Wir brauchen dich“, meldete sich sein Kollege. „Ich habe schlechte Nachrichten. Im Straßengraben hat eine Streife heute Morgen zufällig den Wagen von Anna Gavaldo gefunden. Daraufhin sind wir hierhergefahren.“
Van Cleef glaubte, sich verhört zu haben, als Neumann ihm die Adresse durchgab. „Wie bitte? Das kann doch nicht wahr sein!“
„Wir haben sie oben gefunden.“
„Spann mich nicht so auf die Folter. Gefunden? Wen?“
„Anna Gavaldo. Neben einer Leiche im Badezimmer. Mit einem Messer in der Hand. Eine üble Geschichte.“
„Ich komme sofort!“
Van Cleef holte den Autoschlüssel aus seiner Schreibtischschublade und zog seinen Regenmantel über. Mit geschmeidigen Schritten verließ er das Gebäude. Um diese Zeit herrschte bereits reger Verkehr, deshalb schaltete er auf Blaulicht und Sirene.
***
Starnberg
Am Tatort angekommen, parkte er seinen Wagen nahe der Absperrung, stieg aus und ging auf das Haus zu. Ein Polizeibeamter behielt die unliebsamen Schaulustigen im Auge, die sich hinter dem Absperrband drängten, und tippte sich mit der Hand an die Stirn. Er kannte den Kommissar.
Als van Cleef die Neugierigen hinter der Absperrung sah, schüttelte er verständnislos den Kopf. „Wieso gehen die nicht spazieren, statt sich an Grausamkeiten aufzugeilen?“
Der junge Polizist zuckte mit den Schultern und reichte ihm einen Schutzanzug, den er rasch überzog.
Vor dem Hauseingang drehte er sich noch mal zu dem jungen Kollegen um. „Behalten Sie die Leute im Auge. Sehen Sie sich jedes Gesicht genau an. Vielleicht ist unser Täter dabei. Der Fotograf soll von der Menge Aufnahmen machen.“
Schon auf der Vordertreppe wehte ihm durch die offene Haustür der Geruch des Todes entgegen.
„Warum hat das so lange gedauert?“, begrüßte ihn Neumann.
Van Cleef ignorierte die Bemerkung und lief rasch die Stufen hinauf zum Schlafzimmer.
Anna saß blutverschmiert im Sessel, hielt ein Messer in der Hand und spielte mit der anderen an einer blonden Haarsträhne, die sie immer wieder um ihren Finger wickelte.
Er ging in die Knie, auf Augenhöhe mit ihr. „Anna? Bist du verletzt? Kannst du mir sagen, was passiert ist?“
Es war, als würde er ein Foto ansehen, und ein seltsames Gefühl von Vertrautheit überkam ihn, wie bei einem vagen Traum, den man nicht klar erkannte und der einem entglitt, sobald man die Augen öffnete. Er hob eine Hand und fuhr ihr mit den Fingern durchs Haar, wie bei einem Kind, das man zu beruhigen versuchte.
„Ganz ruhig. Gib mir das Messer, Anna.“
Anna hob ihre Hand und hielt das Messer hoch. Seltsame Augen sahen ihn an. Ihr Blick war verschwommen, als hätte sie Drogen genommen.
Van Cleef wich zurück. „Ganz ruhig. Gut so, Anna. Lass es fallen! Bleib ganz ruhig. Ich gebe dir jetzt meine Jacke. Bleib da sitzen, bleib, wo du bist.“
Das Haus war jetzt von Lärm erfüllt, von lauten Schritten, dem unaufhörlichen Klappern von Instrumenten, die von der Spurensicherung ausgepackt wurden, vom Stimmengewirr der Beamten: laute Stimmen, die sich Gehör zu verschaffen versuchten.
„Wir müssen ein Protokoll aufnehmen, Anna. Je eher, desto besser. Okay?“
Sie nickte. „Könnte ich vielleicht ein Glas Wasser haben?“, fragte sie.
„Sicher“, sagte Benedikt. „Meine Kollegin wird sich um dich kümmern und dich danach ins Polizeipräsidium bringen. Ich sehe mich um und komme gleich nach.“
„Du kannst tun und lassen, was du willst. Es ist mir egal.“
Er hörte eine Mischung aus Wut und Kapitulation in ihrer Stimme.
Wenig später half er ihr in den Wagen und sah dem Fahrzeug einen Moment hinterher. Er wusste: Annas Anblick erregte in anderen Menschen unterschwellige Gefühle – sie spürten, dass etwas mit ihr nicht ganz in Ordnung war, doch die meisten konnten sich nicht erklären, was, und sahen noch einmal hin. Manche sagten, ihre Lippen, die voll und sinnlich
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