EISKALTER SCHLAF: Poesie des Bösen: Thriller (German Edition)
des Vernehmungsraums und beobachteten Anna Gavaldo und Jörg Kreiler durch den Einwegspiegel. Anna wirkte unruhig. Sie rutschte auf ihrem Stuhl herum und warf nervöse Blicke zum Fenster, als wüsste sie, dass sie beobachtet wurde. Die Tasse Tee auf dem Tischchen neben ihrem Stuhl hatte sie nicht angerührt.
Neumann reichte van Cleef ein Dossier.
„Was ist das?“
„Der erste Befund. Sie hat Blutergüsse am Hals.“
„Vom Sicherheitsgurt?“
„Nein. Das waren Hände. Jemand wollte sie erwürgen. Außerdem haben wir fremdes Genmaterial neben den Blutergüssen gefunden. Sie ist also nicht unbedingt tatverdächtig.“
„Das kann ich mir auch kaum vorstellen.“
„Aber sie ist doch vollkommen irre. Und Irre tun manchmal Dinge …“
„Ruhe, Neumann. Wo ist denn Robert Hirschau?“
„Er hat einen Termin, will später anrufen. Er meinte, er muss unbedingt mit dir reden.“
Van Cleef behielt Kreiler hinter der Scheibe aufmerksam im Auge. „Ist das Genmaterial schon analysiert worden?“
„Chef, das dauert vierundzwanzig Stunden. Aber es sind keine kurzen blonden Haare.“
„Wir werden abwarten.“
Van Cleef sah erstaunt, dass Kreiler aufstand und den Verhörraum verließ, und trat ihm auf dem Flur entgegen. „Das ging aber schnell.“
„Tja, sie ist völlig verwirrt und steht unter Schock. Ich habe einen Krankentransport veranlasst, der sie in die Klinik bringen wird. Ihr Vorgesetzter ist ausnahmsweise einverstanden, ebenso ihre Anwältin. Ein Polizeibeamter sollte rund um die Uhr am Eingang der geschlossenen Abteilung postiert werden.“
Er seufzte, als er Neumanns Blick bemerkte. „Damit sie nicht entkommt“, bemerkte Kreiler sarkastisch in dessen Richtung. Wieder zu van Cleef gewandt, schlug er vor: „Wir beide können uns dann morgen in der Klinik unterhalten. Sagen wir um elf.“
„Ich will nur wissen, ob sie lügt.“ Neumann klang feindselig.
„Es ist überaus beruhigend zu wissen, dass man sich auf die Unparteiigkeit der Polizei verlassen kann“, antwortete Kreiler.
„Boss, die Raben versucht einen auf Notwehr zu machen, und der Doc hilft ihr dabei.“
„Neumann, es reicht jetzt!“, schnauzte van Cleef.
Noch einmal warf er einen Blick auf Anna, aber er hatte noch immer keine Ahnung, was hinter ihrer starren Maske vor sich ging.
Kapitel 34
München
Sein Gehirn glühte, seine Fingerknöchel schmerzten. Aus der Stereoanlage des Mercedes SLK drang enervierendes Rauschen. Er hatte Librium geschluckt, doch nichts hatte die Flut des Bösen eindämmen können. Jede Zelle seines Körpers schrie nach dem nächsten Opfer, mit dem er sein wunderbares Spiel spielen würde. Doch vor allem schrie sein Körper nach jener Frau, der er vor wenigen Wochen in einem Café in München zum ersten Mal begegnet war.
Um mehr über den Mann zu erfahren, der ihn mit der Auslöschung der Kollmann-Mörder beauftragt hatte, hatte er auch Kreiler eine Zeitlang beschattet. Von seinem Versteck hinter einer Litfaßsäule hatte er die Villa auf der gegenüberliegenden Straßenseite beobachtet. Eines Tages hatte Kreiler eine Patientin zur Eingangstür begleitet. Dabei fiel ihm auf, dass sein Auftraggeber scheinbar ein besonderes Faible für diese Frau hatte, die er beim Abschied liebevoll umarmt, ja sogar geküsst hatte, als sie seine Praxis verließ. Niemals würde er diesen Blick vergessen: voller Sehnsucht, voller Verlangen, Begierde in ihrer vollendeten Form. Nur zu gut verstand der Pole, was in dem anderen vorging. Verlangen hieß auch für ihn: warten und lauern.
Er war der attraktiven Patientin mit dem Engelshaar bis in das Mövenpick am Lenbachplatz gefolgt. Und dort sah er dann diese andere Frau zum ersten Mal: leuchtend tizianrotes Haar, loderndes Feuer, ein Flammenmeer, das ein rundes Gesicht umgab, er sah die schmale Nase, die hohen Wangenknochen, die vollen roten Lippen, die helle Haut, und er sah, dass sie hochschwanger war. Die beiden Frauen schienen miteinander befreundet zu sein, denn sie umarmten und küssten sich.
Seit er die Schwangere das erste Mal gesehen hatte, hämmerte es unablässig in seinem Kopf. Die hellen Blitze, die er verschwommen im Rückspiegel seines Mercedes wahrnahm, ließen seine Augen tränen.
Ein lüsterner, unkontrollierbarer Teil seines Gehirns führte ihm immer wieder ihr Bild vor Augen: eine sinnliche Frau kurz vor der Entbindung, weit offen für sein hämmerndes, stoßendes Begehren, dessen Echo von den Wänden ihrer Gebärmutter zurückgeworfen würde.
Doch
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