EISKALTER SCHLAF: Poesie des Bösen: Thriller (German Edition)
herzförmige Gesicht einer Frau. Die hellen Augen, die sie anstarrten, wirkten vertraut, fast wie ihre eigenen, doch Mathilda wusste mit der unwiderlegbaren Gewissheit der Träumenden, dass es nicht ihr Spiegelbild war. Die Frau hatte lockiges Haar wie sie selbst, aber es war hell und kurz geschnitten, als ob sie eine Krankheit durchgemacht hätte. Die Traumgestalt war merkwürdig gekleidet, sie trug ein ärmelloses Hemdkleid, ähnlich einem Unterrock oder einem Nachthemd. Ihre entblößte Haut war braungebrannt, ihre Hände makellos und zart. Die Frau saß vor einem weißen Klinikgebäude in einem Schaukelstuhl auf einer Terrasse. Mathilda nahm die schwankenden Bewegungen des Stuhls wahr. Sie versuchte zu sprechen und die Wattehülle zu durchdringen, die sie umschloss.
„Was … wer?“, stammelte sie, doch das Bild begann bereits zu schwinden. Es flackerte noch einmal auf und wurde dann dunkel, als hätte jemand eine Laterne ausgeblasen. Sie hätte schwören können, im letzten Moment den Ausdruck verblüfften Wiedererkennens in den starren Augen der Frau aufblitzen zu sehen.
Mit einem erstickten Schrei auf den Lippen erwachte sie. Ihr Herz raste, doch sie wusste sofort, dass es nicht der Traum gewesen war, der sie geweckt hatte. Da war ein Geräusch gewesen, eine Bewegung an der Küchentür. Mathilda sprang auf, ihre Hand fuhr an die Kehle, aber dann ließ Erleichterung sie aufatmen.
„Katharina?“
An der Wohnzimmertür erschien Katharinas kleine Gestalt. Sie rieb ihre Augen. Mathilda breitete die Arme aus.
„Ich habe einen Knall gehört, Mathi“, sagte Katharina leise.
„Komm mal her, Kleines.“
Katharina flüchtete in ihre Arme, und sie fing sie auf.
„Was hältst du von einer heißen Schokolade und danach …“
Aber da war das Mädchen bereits in ihren Armen eingeschlafen.
Kapitel 32
Starnberg
Ohne jegliche Vorwarnung streikte der Motor ihres Wagens. Anna trat aufs Pedal. Nichts. Sie sah auf die Benzinanzeige: fast voll. Sie hatte heute früh getankt.
Der Wagen rollte noch ein Stück weiter, wurde immer langsamer, und schließlich hielt sie am Straßenrand. Das Licht der Scheinwerfer brach eine Schneise durch die Finsternis und den Regen, der allmählich in Schnee überging. Ihr war kalt. Mit steifen, ungeschickten Fingern drehte sie den Schlüssel im Zündschloss herum. Der Motor jammerte ein paarmal, sprang aber nicht an. Sie versuchte es noch einmal und bemerkte, dass das Scheinwerferlicht dunkler wurde. Schnell schaltete sie die Lichter aus. Die Batterie war alt; sie hätte das Licht sofort ausmachen sollen. Sie starrte in die Dunkelheit, sah die immer dichter werdenden Schneeflocken auf die Scheibe rieseln und hörte den Wind pfeifen. Dann waren plötzlich Lichter vor ihr, Rücklichter. Ein Wagen hatte angehalten und kam rückwärts auf sie zu. Sie drehte den Schlüssel noch einmal im Schloss, der Motor schien anzuspringen, starb dann aber wieder ab.
***
Eine halbe Stunde später war sie zu Hause. Beim Öffnen der Haustür stieg ihr ein merkwürdiger Duft in die Nase, und sie ging sofort in die Küche. Hoffentlich habe ich die Zeitschaltung für den Herd richtig eingestellt, dachte sie.
Sie schaute nach. Alles schien in Ordnung zu sein. Gott sei Dank, dachte sie. Für heute reicht es mir.
Sie wusste, dass sie sich ausruhen sollte, doch die Autopanne und ihr nächtlicher Retter hatten sie abgelenkt von dem anstrengenden Gespräch mit ihrer Freundin. Sie hatte Glück gehabt, dass der Fahrgast im Taxi zufällig denselben Heimweg gehabt und sie mitgenommen hatte.
Warum wurde sie ständig ohnmächtig? Warum streikte ihr Auto? Was zum Teufel war bloß los?, fragte sie sich. Sie war Mathilda dankbar, dass Katharina bis morgen bei ihr bleiben konnte, denn so hatte sie Gelegenheit, in aller Stille über die merkwürdigen Vorkommnisse im Zusammenhang mit Kreilers Therapie nachzudenken. Stattdessen döste sie auf dem Sofa ein.
***
Als sie aufwachte, fühlte sie sich in ihrem eigenen Haus einsam und eingesperrt. Sie starrte in die Dunkelheit, nahm die Vorhänge und die Jalousie im Schlafzimmer wahr und den Geruch des neuen Teppichbodens. Aber sie war doch auf dem Sofa eingedöst, nicht im Bett. Jetzt hörte sie ein Geräusch, oder war das Einbildung? Ihr Herz raste.
„Hallo? Ist jemand hier? Warum tust du mir das an, Max?“
Keine Antwort. Sie versuchte sich aufzusetzen, doch der Raum kippte zur Seite weg und begann wie bei hohem Seegang zu schwanken. Sie stürzte bäuchlings aufs
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