Eiskalter Sommer
hatte das Plakat des neuen Films in einer Zeitschrift gesehen, seitdem fieberte er dem Filmstart in Deutschland entgegen. Der Anblick, den die Tochter des Landwirts bot, während sie Gläser nachfüllte und belegte Brötchen bereitstellte, elektrisierte seine Sinne und versetzte sie in kaum gedämpfte Schwingungen. Je weiter der Abend fortschritt, desto öfter hatte er Gelegenheit, einen Blick in den Ausschnitt ihrer Bluse zu werfen. Sie trug keinen Büstenhalter, und sie bewegte sich auf eine unbekümmerte und ungezwungene Weise, die ihm arglos und frivol zugleich erschien.
Immer wenn er die Karten ausgegeben hatte und eine Runde aussetzte, beobachtete er sie unauffällig. Ihm war, als gingen Signale von ihr aus, die für ihn bestimmt waren. Und keiner in der Runde schien etwas zu bemerken. Der Vater hatte missbilligend das Gesicht verzogen, als sie aufgetaucht war, sich dann aber auf das Spiel konzentriert. Seine Tochter schien er nur noch als Bedienung wahrzunehmen, die dafür zu sorgen hatte, dass Bier und Brötchen nicht ausgingen. Sven und Hendrik hatten sie zwar bewundernd angestarrt, als sie das Zimmer betreten hatte, dann aber auch nur noch Augen für ihre Skatkarten gehabt. Sie betrieben das Spiel mit wachsender Leidenschaft und reizten damit den Ehrgeiz des Bauern, der die Herausforderung sichtlich genoss.
Susanne fand zunehmend Gefallen an der Situation. Schon bei der Begrüßung war ihr aufgefallen, dass die jungen Männer sie bewundernd gemustert hatten. Ein lange nicht erlebtes Gefühl der Spannung hatte sich ihrer bemächtigt. Und sie verspürte den Drang, ihre Wirkung auf die späten Gäste zu erproben.
An den Sohn von Vaters Bekannten hatte sie eine vage Erinnerung. Doch die musste aus einer Zeit stammen, in der sie sich noch nicht für Jungen interessiert hatte. Oder aus jener Phase, in der sie die Jungmänner vom Lande generell abgelehnt hatte. Sven war zu einem attraktiven Mann herangewachsen, aber noch besser gefiel ihr Jan und sie fragte sich, ob es ihr gelingen würde, ihn aus der Fassung zu bringen. Obwohl er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, hatte sie sein Interesse bemerkt. Er gehörte nicht zu den Typen, die sie mit den Augen auszogen, aber sein mühsam verstecktes Begehren war nicht zu übersehen. Wahrscheinlich würden weder er noch die beiden anderen es wagen, sich offen für sie zu interessieren. Sie waren kaum älter als achtzehn und wirkten irgendwie hilflos. Und genau das war es, was Susanne reizte. In Hamburg und an der Uni in München hatte sie erlebt, wie Männer ihr ohne Umschweife eindeutige Angebote gemacht hatten. Vom Kommilitonen bis zum Professor. Selbst als sie längst mit Frank zusammen war. Nicht alle Angebote hatte sie ausgeschlagen. Aber nie war es zu mehr als einer gemeinsamen Nacht gekommen. Frank dagegen ...
Sie schob den Gedanken beiseite und beobachtete verstohlen die jungen Männer. Im Gegensatz zu ihren Münchener Bekanntschaften schienen diese Jungen männliche Jungfrauen zu sein, die ihre Kräfte ausschließlich beim Sport ausließen. Die Vorstellung, den einen oder anderen zumindest vorübergehend um den Verstand zu bringen, reizte sie auf eine schon lange nicht mehr empfundene Weise.
*
Swantje Bohm starrte abwechselnd auf das Telefon im Flur und das Radio im Wohnzimmer. Nach dem Anruf von Svens Mutter hatte sie den Empfänger eingeschaltet und wartete mit wachsender Unruhe auf die Nachrichten. Zwischendurch stand sie auf, sah nach ihrem kleinen Sohn und ging zum Fenster, um das Schneetreiben zu beobachten. Es erschien ihr undurchdringlich, und der Wind drückte so heftig gegen die Scheiben, dass eisige Luft durch die Ritzen drang.
Sie würden später kommen. Hatten den Wagen stehen lassen müssen und waren zu Fuß durch Schnee und Eis zu einem Bauernhof gewandert. Also würde Erik erst morgen kommen. Seit er bei der Bundeswehr war, musste sie während der Woche die Nächte ohne ihn verbringen. Das war ihr anfangs schwergefallen. Sie hatte sich jedoch daran gewöhnt, in das leere Bett zurückzukehren, wenn das Baby sich in der Nacht bemerkbar gemacht und sie es versorgt hatte. Jetzt aber war sie wegen Eriks Ausbleiben aufgrund des andauernden Schneefalls beunruhigt.
Als die Nachrichtensendung begann, blieb sie vor dem Radio stehen und neigte den Kopf.
„Die Schneekatastrophe hat in Norddeutschland erste Todesopfer gefordert. Im Landkreis Cuxhaven erfror ein Mann bei dem Versuch, Verwandte in einem Nachbarort zu Fuß zu erreichen. Im
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