Eiskalter Sommer
halten.“
„Und was machen wir jetzt?“ In Jans Stimme schwang ein Anflug von Panik mit.
Hendrik hob die Schultern. „Den Trecker können wir vergessen. Wir müssen zu Fuß weitergehen. Oder umkehren.“
*
Es war Ostendorff nicht leicht gefallen, dem Staatsanwalt zu erklären, warum es so wichtig war, im Zusammenhang mit den Todesfällen bei der Firma CuxFrost die Ermittlungen diskret zu führen. Da er Krebsfänger den wahren Grund nicht offenbaren konnte, hatte er versucht, ihm den politischen Schaden auszumalen, der entstehen würde, wenn der Name des Landtagsabgeordneten mit polizeilichen Ermittlungen in Verbindung gebracht wurde. Es war Wahlkampf, und in der parteipolitischen Auseinandersetzung würde ein Ungleichgewicht entstehen, das die Mehrheiten in Stadtrat und Kreistag verschieben könnte. Instabile Verhältnisse konnten nicht im Interesse des Gemeinwohls sein. Und auch die Justizbehörden würden in Mitleidenschaft gezogen, wenn gewisse Probleme, die man besser hinter verschlossenen Türen löste, in der Öffentlichkeit diskutiert würden.
„Wie kommen Sie darauf“, hatte Krebsfänger gefragt, „dass jemand auch nur auf die Idee kommen könnte, Sie mit Todesfallermittlungen in Verbindung zu bringen?“
„Das geht schneller, als man denkt, verehrter Herr Staatsanwalt“, hatte er geantwortet. „Zum einen habe ich mich bei der Stadt und auf Landesebene für das Unternehmen eingesetzt. Zum anderen musste ich feststellen, dass die beiden Opfer alte Bekannte von mir sind. Mit dem Betriebsrat der CuxFrisch habe ich im Zusammenhang mit den wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Unternehmens Gespräche geführt. Und da ich regelmäßig im Cap Cux zu essen pflege, habe ich auch gelegentlich mit Jensen gesprochen. Ein skrupelloser Journalist könnte aus diesen Details eine Kampagne gegen mich speisen. Und damit gegen meine Partei. Am Ende gäbe es eine öffentliche Schlammschlacht, unter der letztlich das Ansehen aller politisch Verantwortlichen leidet. Ich wäre Ihnen also sehr verbunden, wenn Sie auf die ermittelnden Beamten entsprechend einwirken könnten. Und wenn Sie mich darüber hinaus über den Stand der Ermittlungen informieren könnten – vertraulich natürlich –, würde das sicher ebenfalls dem gemeinsamen Interesse dienen.“
Anfangs hatte sich der Staatsanwalt noch ein wenig geziert, und Ostendorff hatte mit Engelszungen auf ihn eingeredet. Bis Krebsfänger schließlich die gewünschten Zusagen gegeben hatte. Der Hinweis auf seine Gespräche mit dem zuständigen Referatsleiter im Justizministerium hatte seine Wirkung letztlich doch nicht verfehlt.
Ostendorff war eine Last von der Seele gefallen und seine Stimmung hatte sich im Laufe des Tages gebessert. Er freute sich auf den Abend, den er zu Hause verbringen wollte, um das Fußballspiel Deutschland – Italien anzusehen. Vor der Weltmeisterschaft hatte er nicht damit gerechnet, dass die deutsche Mannschaft über das Achtelfinale hinauskommen könnte, aber jetzt war er davon überzeugt, dass sie sogar die Italiener schlagen und den Weltmeistertitel erringen würde.
Sein Tag war auch in anderer Hinsicht erfolgreich gewesen. Bei einer Podiumsdiskussion hatten seine politischen Gegner keinen guten Eindruck hinterlassen. Er dagegen hatte für seine Partei punkten können. In recht guter Stimmung erreichte er gegen Abend sein Haus. Nachdem er ausgiebig Skipper, der ihn an der Haustür schwanzwedelnd empfing, gekrault und gestreichelt hatte, begrüßte er seine Frau mit einem Kopfnicken und griff nach dem Stapel Briefe, der wie üblich auf dem Garderobenschrank im Flur bereit lag.
„Ich bin völlig verschwitzt, muss gleich erst mal duschen. Und dann hätte ich gern ein Bier auf der Terrasse.“
Christine Ostendorff nickte nur und wandte sich zur Küche. „Hast du Hunger?“, fragte sie über die Schulter.
„Keinen großen. Aber ein kleiner Imbiss wäre nicht schlecht.“ Ostendorff verschwand mit den Briefen in seinem Arbeitszimmer.
Wie immer bestand der größte Teil der Post aus Werbesendungen, die er ungeöffnet in den Papierkorb fallen ließ. Die übrigen Briefe sortierte er in drei Stapel: amtliche oder offizielle Schreiben würde er morgen öffnen, private Post und persönliche Anschreiben von Bürgern nach dem Duschen, Rechnungen wanderten in die Ablage für die Sekretärin. Ein Brief ließ sich nicht einordnen. Er trug keinen Absender, war mit einer Schreibmaschine adressiert und nicht frankiert. Der Schreiber oder sein
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