Eiskalter Sommer
kehrten sie noch einmal zum Strand zurück. Inmitten zahlreicher Feriengäste, die den Sonnenuntergang fotografierten, beobachteten sie – eng umschlungen wie außer ihnen nur einige ganz junge Paare – das Naturschauspiel. Nachdem die Sonne im Meer versunken war und ihr Licht die Welt in eine Kitschpostkarte verwandelt hatte, brachen sie auf. Beide zog es plötzlich nach Hause. Unterwegs erzählte Röverkamp von seinen Entdeckungen und Erlebnissen des Nachmittags. Sein Bericht von der Kutterfahrt brachte Sabine zum Lachen. Doch dann wurde sie ernst. „Kann es sein, Konrad, dass du zu viel arbeitest und zu wenig Schlaf bekommst?“
Röverkamp hob die Schultern. „Erinnere mich nicht an die Arbeit. Ich habe im Augenblick etwas ganz anderes im Kopf.“
Sabine lächelte und lehnte sich an seine Schulter. „Ich auch“, murmelte sie und schloss die Augen.
Eine gute Stunde später sanken Konrad Röverkamp und Sabine Cordes ermattet und verschwitzt auf Sabines großem Bett in die Kissen.
„Woran denkst du?“, fragte sie, nachdem sie eine Weile satt und schläfrig nebeneinandergelegen hatten.
Röverkamp stützte sich auf einen Ellenbogen und sah Sabine an. „An den schönen Tag. Eigentlich war es ja nur der Nachmittag und der Abend. Aber mir kommt es vor wie ein langer Urlaub. Und dann dieser tolle Abschluss.“ Seine freie Hand wanderte über ihren Arm zur Schulter und weiter über den Hals zum Kinn. An ihrer Wange blieb sie liegen.
„Ich fand’s auch schön.“ Sabine lächelte spitzbübisch. „War doch gut, dass du dich auf dem Schiff richtig ausgeschlafen hast.“
Er kniff ihr zur Strafe in die Wange.
*
Auf dem Rückweg nach Cuxhaven, für den er diesmal die Autobahn nahm, schwirrten die Bilder des Tages durch Röverkamps Kopf. Vergnügt summte er vor sich hin und schaltete das Radio ein. Auch wenn er es nicht geschafft hatte, Sabine zu fragen, ob sie zu ihm ziehen wollte – sie war und blieb sein Lebensglück. Er sollte zufrieden sein.
Es dauerte eine Weile, bis die Fußballübertragung in sein Bewusstsein drang. Das Spiel Deutschland gegen Italien. Daran hatte er überhaupt nicht mehr gedacht. Die Uhr im Armaturenbrett zeigte halb elf. Um neun hatte das Spiel begonnen. War die Entscheidung schon gefallen?
Er drehte die Lautstärke höher.
„... Spiel der verpassten Chancen.“ Der Radioreporter sprach ungewöhnlich ruhig. Wartete er auf den Abpfiff? Plötzlich erhob sich seine Stimme, wurde hektisch. „Pirlo hat den Ball, läuft an, versucht es mit einem Weitschuss, das Leder fliegt auf das Tor, doch Lehmann hält. Jaaa, souverän macht er das ... Und noch immer ist kein einziges Tor gefallen in diesem Spiel ...“
Kein Tor? Röverkamp sah erneut auf die Uhr.
„... erkennt der Schiedsrichter ein Foul von Cannavaro an. Podolski. Freistoß für Deutschland. Michael Ballack legt den Ball zurecht, läuft an, schießt ... aber das Leder fliegt zu weit und zu hoch am langen Eck vorbei ... Klinsmann will wohl jetzt mehr Druck machen, wechselt David Odonkor für Schneider ein ... Und wieder kommt ein Italiener frei vor das deutsche Tor. Perrotta flankt, doch Lehmann hat rechtzeitig seinen Kasten verlassen und klärt energisch – mit nur einer Faust.“
Röverkamp wurde plötzlich bewusst, dass er aufgeatmet hatte. Noch fünf Minuten. Würde es eine Verlängerung geben?
„Ja, meine Damen und Herren, es steht null zu null, und da ist er schon, der Pfiff des Schiedsrichters ... dieses Spiel geht in die Verlängerung ... Die Italiener gehen nach vorn ... Alberto Gilardino zieht von rechts kommend nach vorne durch, legt sich den Ball auf den Fuß, flankt ... schießt ... aufs Tor ... keine Chance für Jens Lehmann! ... Doch der Ball prallt vom linken Pfosten ins Feld zurück ... Und die Italiener drehen weiter auf ... Eckball, aber die deutsche Defensive bekommt das Leder nicht aus der Gefahrenzone und schon wieder ist das deutsche Gehäuse bedroht. Diesmal ist es Zambrotta ... Ein fast perfekter Schuss – aus zwanzig Metern – streift die Querlatte ... die Spannung steigt ... Keine der beiden Mannschaften will ein Elfmeterschießen ... Sie suchen die Entscheidung – jetzt ... Das Spiel wird abwechslungsreicher, als es zuvor während der regulären Spielzeit war ... Die Sekunden verrinnen, das Elfmeterschießen rückt in greifbare Nähe, noch wenige Minuten, dann ist es so weit ... Und wieder zwingt Pirlo den deutschen Keeper zu einer großartigen Parade ... Eckball, noch einmal landet der
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