Eiskalter Sommer
und er überlegte es sich anders. Stattdessen zahlte er und machte sich auf den Weg zurück zu seinem Auto. Die Sonne brannte ihm auf den Rücken, als er zum Deich wanderte, und nach kurzer Zeit klebte sein Hemd auf der Haut.
Interessiert betrachtete Röverkamp die Vielfalt der mobilen Eigenheime mit ihren Terrassen und Vorgärten auf dem Campingplatz. Auf dem Dach eines Wohnmobils kroch ein braungebrannter beleibter Herr mit grauem Haarkranz herum und richtete die Satellitenantenne aus. Wahrscheinlich will er heute Abend das Fußballspiel sehen. Die Begegnung der Mannschaften von Italien und Deutschland würde die Entscheidung bringen, welche Mannschaft im Endspiel gegen Frankreich antreten würde.
Röverkamp sah noch einmal hin, denn irgendetwas hatte ihn irritiert. Tatsächlich, er hatte richtig gesehen. Der Mann auf dem Wohnwagendach war nackt. Und alle anderen auch. Erst jetzt wurde ihm klar, dass der Campingplatz von FKK-Anhängern bevölkert war. Wahrscheinlich die beste Kleiderordnung, die es in diesen Tagen geben konnte.
Nachdem er etwas außer Atem den Deich überwunden und seinen Wagen erreicht hatte, öffnete er alle Fenster und Türen, um die aufgestaute Hitze herauszulassen. Während er darauf wartete, dass Lenkrad und Fahrersitz sich ein wenig abkühlten und er besser einsteigen konnte, wanderten seine Gedanken nach Debstedt. In knapp zwei Stunden würde Sabines Dienst enden. Vielleicht würden sie gleichzeitig in ihrer Wohnung ankommen. Sie würde überrascht sein. Und sich über seinen spontanen Besuch freuen. Oder auch nicht? In jedem Fall würde sie fragen, warum er so unverhofft auftauchte. Dann würde er sich entscheiden müssen. Ausweichen? Lügen? Sie mit dem Vorschlag überfallen, zu ihm nach Cuxhaven in die Wohnung am Hamburg-Amerika-Platz zu ziehen?
Keine der Varianten erschien ihm besonders glücklich. Vielleicht gab es noch eine bessere Lösung. Er würde auf der Fahrt darüber nachdenken. Oder sich auf sein Gefühl verlassen und aus der Situation heraus entscheiden. Konrad Röverkamp stieg ein und ließ den Motor an. Zwei Stunden Zeit. Da sollte ihm eigentlich noch etwas einfallen.
Am Dorumer Tief entschied er sich für einen Abstecher zum Kutterhafen. Dort war er erst einmal gewesen. Seine Aufmerksamkeit hatte dabei einer Leiche und den Umständen ihres Auffindens gegolten. Heute fühlte er sich als Urlauber. Und wie ein Feriengast wollte er die Eindrücke des Hafens auf sich wirken lassen.
Als er über die Hafenterrassen schlenderte, entdeckte er einen Kutter, auf dessen Deck sich Menschen drängten, die nicht wie Krabbenfischer, sondern wie Touristen aussahen und offenbar auf das Auslaufen warteten. Kurzentschlossen kletterte er mit an Bord, nachdem er sich vergewissert hatte, dass die Fahrt ins Wattenmeer nicht länger als eineinhalb Stunden dauerte.
Er fand einen halbwegs bequemen Sitzplatz, und kaum hatte er sich niedergelassen, tuckerte das Schiff aus dem Hafen. Mit geschlossenen Augen genoss er die sanften Bewegungen und das gleichmäßige Brummen des Schiffsdiesels. Kurz darauf schlief er ein.
Als er erwachte, passierte die Nordstern den Leuchtturm Obereversand. Der Bug des Schiffes zeigte in Richtung Hafen.
*
Sabine Cordes’ letzte Operation des Tages war die Korrektur eines „Hallux valgus“. Der große Zeh der Patientin war so weit zur Seite gebogen, dass er fast rechtwinklig stand. Routinemäßig hatte sie ihr die Elektroden für EKG und Pulsmessung, eine Blutdruckmanschette und einen Messfühler für die Sauerstoffsättigung des Blutes angelegt. Ihr Assistent hatte die Kanüle in die Handvene gelegt, und schließlich hatte Sabine Cordes die Narkosemittel dosiert eingegeben. Die Wirkung der Medikamente richtig auszubalancieren, erforderte immer wieder höchste Konzentration. Sobald sich Anzeichen der betäubenden Wirkung zeigten, schob Sabine den Beatmungsschlauch des Lungenautomaten in die Luftröhre. Als alles so weit war, nickte sie ihrem Kollegen zu, und er begann, das Grundgelenk freizulegen.
Während sie die Messdaten kontrollierte, entspannte sie sich ein wenig. In dieser Phase hatte sie die Menge der Schmerz- und Betäubungsmittel zu regulieren und auf die Beatmung zu achten. Der Operateur Professor Kirchhoff gehörte nicht zu den Ärzten, die ihr Tun ständig mit Erklärungen oder Anekdoten begleiten mussten. Sie arbeitete gern mit ihm zusammen, denn er operierte zügig und verlor kein überflüssiges Wort.
Sabines Dienst würde nach dieser Operation
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