Eiskalter Sommer
Trotzdem bitte ich dich jetzt, nach ihm zu suchen. Das Boot ... Ich rufe später noch mal an. Jetzt kommen gerade die Leute von der Werft. Also kümmere dich um Skipper.“
„Was ist mit dem Boot?“, fragte Christine ins Telefon, aber ihr Mann hatte schon aufgelegt.
Sie sah sich um. Wenn Skipper in der Nähe gewesen wäre, hätte er sich längst blicken lassen. Also hielt er sich nicht auf dem Grundstück auf. Wahrscheinlich suchte er Anschluss bei Artgenossen in der Nachbarschaft. Sie würde Tims Angebot annehmen. Sollte er sich in der Umgebung umschauen.
In dem Augenblick, als sie nach ihm rief, klingelte es an der Haustür. Tim hatte den Schlauch abgelegt und kam angetrabt.
„Eigentlich wollte ich dich bitten, doch noch nach Skipper zu suchen. Aber kannst du bitte erst mal nachschauen, wer da ist? Wahrscheinlich der Postbote. Ich möchte so nicht an die Haustür gehen.“
Der Junge nickte und verschwand im Haus. Kurz darauf hörte Christine im Flur etwas über die Bodenfliesen schrappen. Tim erschien wieder auf der Terrasse. „Ein großes Paket. So ‘ne Art Umzugskarton. Soll ich es rausbringen?“
Christine schüttelte den Kopf. „Für wen ist es denn? Und wo kommt es her?“
Der junge Mann hob die Schultern. „Steht nur Familie Ostendorff drauf. Kein Absender.“
„Sei so gut und stell es in den Hauswirtschaftsraum. Mein Mann wird sich darum kümmern. Wahrscheinlich ist es ohnehin für ihn. – Wie spät ist es eigentlich?“
Tim warf einen Blick auf seine Armbanduhr. „Halb eins.“
„So spät schon? Dann kommt Julia bald aus der Schule. Ich muss ...“ Sie unterbrach sich. „Hast du noch Zeit, dich nach Skipper umzusehen? Lass im Garten alles liegen. Da kannst du morgen weitermachen.“
„In Ordnung“, nickte Tim. „Ich hole nur eben mein T-Shirt. Dann nehme ich das Fahrrad und suche die Umgebung ab. Wahrscheinlich treibt er sich am Surgrund herum. Da haben Leute eine neue Hündin.“
Christine sah ihm nach und seufzte. Hoffentlich kann der Junge die kleine Eskapade für sich behalten.
*
Fast wäre Julia Ostendorff auf einen der Wattwagen aufgefahren, die, von zotteligen Hannoveranern gezogen, eine kleine Karawane in Richtung Strand bildeten. Sie hatte geträumt und das gelbe Fuhrwerk erst in der letzten Sekunde wahrgenommen. Ihr Fahrrad schlingerte ein wenig, als sie beide Bremsen zog.
In diesen Tagen träumte sie öfter. Meistens von einem eigenen Pferd. Natürlich wollte sie kein Reitpony, wie das, auf dem sie reiten gelernt hatte, sondern ein Arabisches Vollblut. Am liebsten einen jungen Hengst. Ihr Vater hatte ihr versprochen, sich nach der Wahl darum zu kümmern.
Gerade eben allerdings war sie mit ihren Gedanken bei Tim gewesen. Seit er sich regelmäßig im Haus ihrer Eltern ein zusätzliches Taschengeld verdiente, hatte sie ihn unauffällig beobachtet. Anfangs hatte sie ihn ziemlich uncool gefunden, weil er sich, wie sie fand, bei ihren Eltern einschleimte, sie dagegen kaum beachtete. Irgendwann hatte sich alles schlagartig geändert. Ihm musste aufgefallen sein, dass sie kein Kind mehr war, denn er hatte sie auf eine Weise angesehen, die ihr eine Gänsehaut über den Rücken hatte laufen lassen. Und sie war in seinen Augen versunken – und von diesem Augenblick an überzeugt, dass zwischen ihnen ein Zauber entstanden war, der auf seine Entdeckung wartete. Seit Tagen zerbrach sie sich den Kopf, wie sie es anstellen konnte, mit Tim ungestört zusammen sein zu können.
Julia hatte wenig Erfahrung mit dem anderen Geschlecht. Die Jungen aus ihrer Klasse waren kindisch, und die Affären, die sie mit Phillip aus der 9b, Kevin aus der 10a und Alexander aus der 10b gehabt hatte, waren irgendwie nicht so krass gewesen, wie sie sich das vorgestellt hatte. Phillip war nett, hatte aber hauptsächlich seine Kumpel im Kopf. Mit Kevin hatte sie ausgiebig geknutscht, doch als er ihr sein Ding an den Bauch gedrückt hatte, war sie unsicher geworden und hatte sich zurückgezogen. Er hatte sich dann sehr schnell eine andere gesucht.
Am längsten war sie mit Alexander zusammen gewesen. Bei ihm hatte sie sich sicherer gefühlt und war mutiger gewesen. Aber zu mehr als Petting hatten sie es trotzdem nicht gebracht. Einmal hatten sie versucht, es „richtig“ zu machen. Aber es hatte nicht geklappt. Erst hatte er den Weg nicht gefunden, dann hatte sie der Mut verlassen. Trotzdem waren sie noch eine ganze Weile zusammengeblieben. Doch irgendwann hatte Julia das Interesse an ihm verloren. Das
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