Eiskalter Sommer
Möglichkeit. Sie sind ein Jahrgang, sie waren befreundet – also waren sie möglicherweise zusammen bei der Bundeswehr. Als ich beim Bund war, haben wir jedenfalls viel Blödsinn angestellt. Hätte beinah dazu geführt, dass ich nicht in die Polizeischule aufgenommen wurde. Lass uns das überprüfen.“
„Genial, Konrad!“ Marie strahlte. „Wir haben wieder einen Anhaltspunkt!“
Noch während sie überlegten, wie sie am schnellsten an die entsprechenden Informationen kommen konnten, klopfte es an der Tür. Eine Beamtin aus der Wache brachte einen Umschlag. „Das ist für euch abgegeben worden.“
Der Brief war an Kriminalhauptkommissar Röverkamp, Polizei Cuxhaven, adressiert. Als Röverkamp den Umschlag öffnete, fiel ein Foto heraus. Er nahm es vorsichtig an den Kanten zwischen die Finger, betrachtete es prüfend, drehte es auf die Rückseite und reichte es an Marie weiter. „Sieh mal einer an. Das ist ja ein Ding!“
Marie betrachtete das Foto und pfiff leise durch die Zähne. „Zufälle gibt’s, die gibt’s gar nicht. Oder wir haben einen Verbündeten im Himmel.“
„Kein Zufall, kein Engel, Marie“, Röverkamp schüttelte den Kopf. „Gestern stand der Artikel in der Zeitung, und heute schickt uns jemand dieses Foto. Der Verbündete liest die Cuxhavener Nachrichten. Also dürfte es sich um einen ganz irdischen Zeitgenossen handeln.“
Sie drehte das Bild in den Händen. „Vier junge Männer. Leider etwas unscharf.“
„Aber sie sehen aus wie Wehrpflichtige beim ersten Heimaturlaub. Schau dir die Frisuren an. So kurze Haare. Und das im Jahr 1978.“
Erneut studierte Marie die Aufnahme. „Dieser dürfte Evers sein. Und der daneben Jensen. Und ganz rechts, das könnte Ostendorff sein. Beschwören würde ich das aber nicht.“ Schließlich hob sie die Schultern. „Ist ja auch etliche Jahre her. Hier steht das Datum: 28. Oktober 1978. Und vier Namen. Erik mit seinen Freunden Hendrik, Sven und Jan. Das kann keine zufällige Übereinstimmung sein. Auch wenn sie nicht auf Anhieb zu erkennen sind – ich denke es handelt sich um Jan Evers, Sven Jensen und Hendrik Ostendorff. Wahrscheinlich ist Erik der Absender. Ihn müssen wir finden.“
Röverkamp nickte. „Bringst du das Foto in die KTU? Vielleicht gibt es brauchbare Fingerabdrücke. Und sie sollen die Gesichter vergrößern. Ich informiere Christiansen. Jetzt können wir dem Abgeordneten Ostendorff doch noch auf den Pelz rücken. Wenn er wirklich einer der jungen Männer auf dem Foto ist, wird er uns sagen können, wer Erik ist und wo wir ihn finden.“
*
Auf dem Weg nach Hause krochen Fragen in Ostendorffs Bewusstsein, die er bisher aus seinen Gedanken verbannt hatte. Wer steckte hinter den Anschlägen auf die Yacht und auf Skipper? Wer war der Anrufer? Wer hatte das Foto aufgenommen? Wollte ihn jemand vernichten? Gab es doch einen Zusammenhang zu den Todesfällen Evers und Jensen? Krebsfänger hatte angedeutet, dass die Polizei einen Tatverdächtigen im Visier hatte. Jemanden aus der Fischverarbeitungsfirma. Ein Arbeiter, der Streit mit Evers und mit Jensen gehabt hatte.
Das alles kann doch nichts mit damals zu tun haben!
Ostendorff schlug mit der Hand auf das Lenkrad. Niemand konnte etwas darüber wissen. Er hatte sich erkundigt. Der Bauer war in den Flammen umgekommen. Das Mädchen war in einer psychiatrischen Klinik gelandet. Die Frau des Bauern hatte einen hohen Betrag von der Lebensversicherung ihres Mannes kassiert, einen Verwalter eingestellt und den Hof zunächst weiter bewirtschaftet. Wenig später war sie einer schweren Krankheit erlegen. Als Ursache für den Brand war das Auftauen einer eingefrorenen Wasserleitung mit einer Lötlampe vermutet worden, wahrscheinlich durch Clasen selbst. Dieses hatte jedoch nicht eindeutig nachgewiesen werden können, darum hatte die Versicherung den Schaden am Gebäude und den Verlust der Tiere ersetzt. Man hatte angenommen, dass die Tochter des Bauern versucht hatte, mit dem Trecker Hilfe aus dem Dorf zu holen, aber wegen der Kälte auf halber Strecke stecken geblieben war. Aber zu einer Aussage war sie nicht in der Lage gewesen.
Niemand hatte erfahren, dass sie dort gewesen waren.
Dass Erik in seinem Auto eingeschlafen und erfroren war, hatten sie nicht zu verantworten. Sein Verlust war schmerzlich gewesen. Natürlich auch für die Frau. Aber sie war jung gewesen und hatte trotz des Kindes irgendwann wieder einen Mann gefunden.
Es gibt niemanden, der etwas wissen kann.
Dieser Satz
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