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Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Titel: Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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irgendwann zu danken.
    Auch Rintanen prüfte, was bereits feststand. Er nickte kaum merklich, verharrte kurz, dann strich er mit der Hand ganz leicht an Sannas Schulter entlang, eine Bewegung, die Kimmo Joentaa in Erinnerung blieb.
    »Sie ist wirklich eingeschlafen«, sagte er, und Joentaa wusste, was er meinte. Ihr Gesicht verriet keinen Schmerz.
    »Möchten Sie eine Weile bei ihr bleiben?«, fragte Rintanen, und Joentaa nickte, obwohl er nicht sicher war, ob er es wollte. Er horchte in sich hinein, während der Arzt mit der Nachtschwester auf den Flur hinaustrat. Er spürte, dass er sich auf einer dünnen Oberfläche bewegte. Rintanen sprach auf dem Flur mit der Nachtschwester. Er verstand die Worte nicht, aber er wusste, dass sie Sanna zum Inhalt hatten und das, was mit ihr, mit ihrem toten Körper, zu geschehen habe.
    Er dachte: Sanna gehört mir nicht mehr.
    Er sah sie an und hatte den Eindruck, es falle ihm leicht, dem Anblick ihrer geschlossenen Augen standzuhalten. Er versuchte, sich zu vergegenwärtigen, dass sie ihn nie wieder ansehen und dass er sie ganz verlieren würde. Er versuchte, die Züge ihres Gesichtes einzuatmen. Nach einer Weile wandte er sich ab, weil er spürte, dass es nicht gelang.
    Die Erleichterung, nichts zu fühlen, schlug um in die Angst, nicht weinen zu können. Eine diffuse Angst, der Schmerz werde ihn von innen aushöhlen, bevor er es bemerkte.
    Abrupt, einem Impuls folgend, stand er auf. Er hob ihren Körper, drückte sie an sich, küsste ihren Mund, ihren Nacken, biss leicht in ihren Hals, in ihre Schultern. Dann ließ er sie sinken, deckte sie zu.
    Er löschte das Licht und verließ den Raum, ohne zurückzusehen. Er ging schnell den Korridor entlang. Als er im Auto saß, begann er zu denken. Er spürte, dass etwas bevorstand, er wusste, es würde etwas sein, das er nicht kannte. Er hatte Angst davor, aber er wartete darauf, er sehnte es herbei. Er wollte zu Hause sein, wenn es ausbrach.
    Er fuhr auf der Landstraße Richtung Angelniemi, parkte den Wagen vor der Einfahrt. Er lief hinunter zum See, der zwischen dunklen Bäumen glitzerte. Der morsche Steg gab unter seinem Gewicht nach, er hatte den Eindruck, ins schwarze Wasser hinabgezogen zu werden.
    Er hatte geplant, im Sommer einen neuen Steg anzubringen, aber sie hatte gesagt, sie liebe alles so, wie es sei. Er erinnerte sich an ihre Worte, an den warmen Ton ihrer Stimme. Sie hatte gesessen, wo er jetzt stand, er sah wieder ihr Lächeln, ihr blasses Gesicht und fühlte die Angst, die ihm den Atem geraubt hatte, als er sie ansah.
    Er wusste, dass er am Ziel war. Er zog die Schuhe aus und ließ seine Füße ins Wasser sinken. Er atmete den klaren Wind und registrierte erleichtert, dass die Kälte des Wassers von seinen Beinen nach oben wanderte. Er wartete, bis das Gefühl zu erfrieren überall in seinem Körper war. Dann ließ er sich zurücksinken, legte sich flach auf den Rücken und schloss die Augen. Er sah sie auf einem roten Pferd reiten, er sah ihre langen, hellen Haare im Wind. Er wartete, bis das Pferd galoppierte, wartete, bis sie lachte und ihm etwas zurief, wartete, bis sie schnell auf ihn zukam, glücklich, schreiend … dann endlich streckte er die Arme nach ihr aus und empfing den Schmerz, der tief und stechend in ihn eindrang und ihn nie mehr verlassen würde.

2
    Der Klavierstimmer wartete, bis er den Eindruck hatte, es sei ganz still, dann schlug er die Taste an und inhalierte den harten falschen Ton. Er schloss die Augen und sah den Klang hell und gelb vor dem schwarzen Hintergrund seiner Gedanken. Ein gelber Kreis, ein greller Vollmond, der kleiner wurde und verschwand, als der Ton in den Schoß der Stille zurücksank.
    Er öffnete die Augen und sah in das Gesicht von Frau Ojaranta, die Kaffee brachte und ihn fragte, ob er zurechtkomme. Er nickte und bemühte sich um ein Lächeln.
    In der Tasse, die sie ihm reichte, schwamm ein greller, gelber Mond.
    Er hoffte, Frau Ojaranta werde ihn allein lassen, aber sie setzte sich und begann zu sprechen. Sie fragte ihn, was er von dem Klavier halte, erzählte, es sei ein Vierteljahrhundert alt, ein Erbstück ihrer Eltern.
    Dasselbe hatte sie schon am Tag zuvor erzählt.
    Er sah, wie ihre Worte langsam Richtung Boden rieselten.
    Es sei ein gutes, ein sehr gutes Klavier, sagte er, und sie nickte, lächelte, zufrieden mit seiner Antwort. Sie erzählte, dass sie selbst nicht musikalisch sei, aber ihre Schwester spiele sehr gut und werde sich freuen, wenn sie demnächst zu

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