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Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Titel: Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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hatte Ketola gefragt.
    Joentaa hatte die Frage nicht beantworten können.
    Als Ketola schon draußen gestanden hatte, hatte Joentaa gefragt, wie es seinem Sohn gehe.
    »Besser«, hatte Ketola geantwortet.
    Er würde Annette Söderström anrufen und ihr für den Tag in Stockholm danken.
    Er würde Daniel anrufen, um sicherzugehen, dass er gut angekommen war.
    Er musste etwas tun.
    Etwas Wichtiges.
    Er hatte das zu lange warten lassen.
    Er stand auf und ging ins Schlafzimmer.
    Er öffnete den Kleiderschrank, Sannas Kleiderschrank, der leer war, er hatte ihre Kleider in einem blauen Müllsack verstaut und in den Keller gebracht. Er hatte die Kleider wegwerfen wollen, er war schon unterwegs zum Altkleidercontainer gewesen, aber er war auf halbem Weg umgekehrt.
    Der Kleiderschrank war leer, nur die Tüte lag darin.
    Die Plastiktüte mit Sannas Sachen aus dem Krankenhaus.
    Er nahm das Buch heraus, das Sanna nicht zu Ende gelesen hatte.
    Er ging ins Wohnzimmer, schaltete das Licht an, setzte sich und begann zu lesen.
    Er zwang sich, immer weiterzulesen, immer weiter, er achtete darauf, keinen einzigen Buchstaben zu übersehen.
    Er wusste genau, an welchen Stellen Sanna gelacht hatte.
    Als er den letzten Satz gelesen hatte, klappte er das Buch zu und legte es vor sich auf den Tisch.
    Das Buch erzählte eine schöne Geschichte, eine, in der alles gut zu Ende ging. Sanna hatte immer Bücher gelesen, die gut zu Ende gingen. Wenn sie ein Buch gelesen hatte und irgendwann befürchtete, dass es nicht gut zu Ende ging, hatte sie es ihm gegeben mit der Bitte, das letzte Kapitel zu lesen. Er hatte ihr dann gesagt, ob es gut oder schlecht endete, und wenn es schlecht endete, hatte sie das Buch nicht weitergelesen.
    Er stand auf und ging nach draußen, um Sanna zu erzählen, wie das Buch, das sie nicht mehr hatte lesen können, endete.
    Er ging hinunter an den See, der morsche Steg gab unter seinem Gewicht nach, aber er musste keine Angst haben, ins Wasser gezogen zu werden, denn das Wasser war Eis.
    Er würde auf dem Wasser laufen können.
    Er lief.
    Er begann, Sanna zu erzählen, wie das Buch endete.
    Er lief, bis er seine Erzählung beendet hatte.
    Er drehte sich um und sah das Haus, Sannas Haus, es war weit entfernt, er hatte fast das andere Ufer erreicht.
    Er setzte sich auf die Eisfläche.
    Er sah das Haus, Sannas Haus, als schwarzen Schattenriss.
    Er war ganz sicher, dass Sanna nichts von dem gehört hatte, was er ihr gerade erzählt hatte.
    Das war nicht wichtig.
    Er würde Anita anrufen und ihr sagen, dass sie sich keine Sorgen um ihn machen müsse.
    Er schrie.
    Er schrie, bis er nicht mehr weiterschreien konnte.
    Das würde er von jetzt an immer machen, wenn er es nicht mehr aushielt.
    Er stand auf und ging zurück.
    Er ging auf das Haus zu und wusste plötzlich, dass er bleiben würde, dass er dort leben würde.
    Als er ankam, waren seine Beine schwer.
    Er löschte das Licht und legte sich auf das Sofa, er dachte, dass er nicht schlafen würde, dass er wach liegen würde, aber er schlief schnell ein.
    Kurz bevor der Schlaf ihn schluckte, dachte er an Vesa Lehmus, der vor seiner Tür gelegen hatte.
    Er dachte, dass etwas zu Ende war.
    Etwas begann.
    Er sah Sanna.
    Sie kam auf ihn zu.
    Sie rief ihm etwas zu. Eine Frage.
    Sie fragte ihn, ob er sie auf einem roten Pferd reiten sehen könne.
    Er rief: Ja.
    Sie kam auf ihn zu, aber sie kam nicht näher.
    Er wusste, dass sie nicht näher kommen würde, sie würde immer weit weg sein, aber das war nicht wichtig.
    Er rannte ihr entgegen.
    Er rief: Ja, ich sehe dich!
    Sanna lachte, er wusste, warum sie lachte, sie lachte, weil sie das Neue spürte, den neuen Ton in seiner Stimme.
    Er rannte ihr entgegen, er würde sie nie erreichen, aber das war nicht wichtig, wichtig war, dass er rannte.
    Ich sehe dich, rief er.
    Sie lachte, vorwurfsvoll, liebevoll.
    Na endlich, rief sie.
    Na endlich.
    Er rannte.
    Er würde nie wieder stillstehen.
    Er würde nie wieder lügen müssen, wenn sie ihm die Frage stellte.
    Ich sehe dich, rief er.
    Ich sehe dich.
    Er sah sie wirklich.

 
    Ich danke für wertvolle Hilfe ganz besonders
Niina, Georg Simader, Wolfgang Hörner,
Esther Kormann, Renate und Dietrich.

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