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Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Titel: Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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Besuch käme.
    Er nippte an seinem Kaffee, genoss die Hitze, den Schmerz auf der Zunge. Er nahm einen kräftigen Schluck, hoffte, an der Mondkugel zu ersticken, aber er schluckte sie hinunter.
    Durch die Glastüren, die zur Terrasse führten, schien die Sonne, er sah den Staub wirbeln über den Klaviertasten. Er verschwieg Frau Ojaranta, dass dieses Instrument nie mehr zu stimmen war. Sie sagte, es sei ein wunderbarer Sommer, und er glaubte, in ihren Augen die Hoffnung auf ewige Wärme zu sehen.
    Draußen war der Himmel hellblau über grünem Rasen.
    Frau Ojaranta lächelte, stand auf und wünschte ihm gutes Gelingen. Er sah ihr nach, bis sie aus seinem Blickfeld verschwunden war, dann schlug er wieder die Taste an, leicht, er wartete, bis sich die Schwingung des schiefen Klangs im Nichts verlor.
    Er versuchte, sich vorzustellen, wie es sei, hinabzutauchen ins Niemandsland, aber es gelang ihm nicht. Er saß einige Minuten, dann stand er auf und ging ans offene Fenster. Frau Ojaranta goss Blumen im Garten, sie bewegte sich routiniert, flüssig und gleichgültig.
    Er war sicher, dass sie nicht dachte.
    Sie bückte sich und riss Unkraut aus dem feuchten Boden. Er sah ihr eine Weile bei ihrer Arbeit zu. Sie trug einen weißen Bikini, ihre Haut war blass. Er inhalierte das Bild, schloss die Augen, öffnete sie und sah sie sterben.
    Er sah in scharfen Kontrasten und grellen Farben, wie sie in einer schnellen Bilderfolge verbrannte.
    Die Sonne war rot und orange und sehr heiß.
    Er wandte sich ab und trat zurück in den Schatten des Raumes, den er als angenehm kühl empfand. Er begann zu laufen, ließ sich treiben, langsam, durch den langen Korridor ins helle große Schlafzimmer, in dem ein breites Bett aus Holz stand, weiße Laken, weiße Decken und Kissen, weich und kalt, er befühlte sie vorsichtig mit seinen Händen.
    An der Wand im Flur hing ein Gemälde, das ihm gefiel, eine verschwommene Landschaft, alles floss ineinander, ein See in einen Berg und der Himmel in den Mond.
    Er sah das Bild lange an.
    Dann ging er die Treppe hinunter in den Keller, er fühlte bewusst, dass es kalt und dunkel wurde. In der Waschküche lief die Maschine, auf der Wäscheleine hingen Kleider. Wasser tropfte auf den Boden.
    Er atmete die feuchte, schwüle Luft.
    In der peinlich sauberen Sauna roch es nach nassem Holz und Duschgel. Es war noch warm, ein rotes Handtuch lag auf der zweiten Stufe der Bank. Er stellte sich Frau Ojaranta vor, die vor wenigen Minuten hier gelegen hatte.
    Neben der Sauna fand er einen großen Weinkeller. Er widerstand dem Impuls, eine Flasche zu zerschlagen und alles zu schlucken, den Wein und die Scherben.
    Er ging wieder nach oben, sein Schritt wurde schwer und der Mond, der seine Gedanken fraß, größer und plastischer.
    Er ging zum Schlüsselbrett im Flur, nahm einige Schlüssel und suchte ohne Eile den für die Eingangstür. Er wurde schnell fündig und steckte den Schlüssel in seine Hosentasche.
    Er inhalierte die Macht.
    Im elegant eingerichteten Wohnzimmer tastete er die Rücken der Bücher ab, er fand eine fast unberührte, neu glänzende Ausgabe des Kalevala-Epos. Er sah Frau Ojaranta durch die geöffnete Terrassentür, sie stand im Sonnenlicht und drehte ihm den Rücken zu.
    Er nahm das Buch aus dem Regal, blätterte zielstrebig in den 49. Gesang und las, wie Ilmarinen in der totalen Dunkelheit einen neuen Mond, eine neue Sonne schmiedete, einen Mond aus Gold, eine Sonne aus Silber …
    Er stellte das Buch ins Regal zurück, sah hinaus und traf die Augen von Frau Ojaranta, die ihn anlächelte. »Lesen Sie nur«, rief sie, trat in den Schatten des Raumes und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
    Er sah die Perlen auf ihren Wangen.
    »Ich bin so weit«, sagte er mechanisch, und ihr Gesicht hellte sich weiter auf. Sie trat an das Klavier heran und schlug eine Taste. Es höre sich viel besser an, viel klarer, sagte sie. Er nickte und genoss es zu wissen, dass der Ton so falsch war wie zuvor. Sie sagte, er habe gute Arbeit geleistet, und er bedankte sich.
    Er spürte, wie sich der Schatten über ihnen tiefer senkte, er sah nur noch die Umrisse ihres Gesichts.
    Draußen brannte die Sonne dunkelrot.
    Die Angst war jetzt sehr gegenwärtig.
    Frau Ojaranta gab ihm Geld. Er verabschiedete sich und trat zögernd ins Freie. Vor seinen Augen schmolz die Straße, aber neben ihm war sie grau und hart. Er setzte seine Schritte vorsichtig, bis er sicher war, nicht zu versinken. Er ging im lauen, warmen Wind zu

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