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Eismord

Eismord

Titel: Eismord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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Make-up, seine Kleider verändern konnte. Sie wünschte sich, sie könnte das alles wirklich machen – ihre Nase ersetzen, ihre Wangenknochen, ihre Schweinsäuglein und vor allem dieses widerwärtige Haar.
    Nikki rollte sich auf dem Bett ein und hielt Lemurs iPod in der Hand. Wie sich herausstellte, hatte er zu einem großen Teil dieselben Songs gemocht wie sie. Im Moment hörte sie nichts, weil sie vergessen hatte, ihn aufzuladen, aber sie hielt ihn trotzdem in der Hand.
    Die Familie ging in die Brüche. Lemur war tot, und jetzt hatten Papa und Jack schon wieder Streit gehabt. Diesmal sogar noch schlimmer. Jack hatte wohl angenommen, Papa sei auf der Jagd, weil er sich im denkbar falschesten Moment an sie herangemacht hatte. Sie war gerade aus der Dusche gekommen, hatte sich abgetrocknet und war – im Bademantel – direkt in ihr Zimmer zurückgegangen. Dort hatte Jack ihr aufgelauert und im Bruchteil von Sekunden die Tür hinter ihnen verschlossen, ihr den Bademantel ausgezogen und seine großen Hände auf ihre Titten gedrückt, bevor er sie aufs Bett warf.
    Schon irgendwie komisch – schließlich war sie schon so oft gefickt worden, dass sie wahrscheinlich freiwillig, um des lieben Friedens willen, mit ihm ins Bett gegangen wäre, hätte er sie nur gefragt. Oder sie hätte es getan, bevor Papa ihr von wegen Selbstachtung und so in den Ohren gelegen hatte. Aber Jack fragte nicht, und so wehrte sie sich, und es wurde laut, und Papa stürzte herein.
    Gewöhnlich dauert so ein Kampf vielleicht eine halbe Minute. Ein paar wilde Fausthiebe, ein Tritt in die Eier, und es ist vorbei. Doch die beiden hörten einfach nicht auf. Sie dachte, Jack würde gewinnen, weil er jünger war als Papa, und wütender. Er hob den Couchtisch hoch und schleuderte ihn Papa entgegen, woraufhin Papa – so was von cool – einen Schritt nach hinten trat und dann zum Angriff überging, indem er Jack mit dem Kopf zuerst gegen die Wand stieß. Jack zückte daraufhin ein Messer und erwischte Papa nicht zu knapp am Unterarm. Überall Blut. Papa nahm ihm das Messer ab, doch als Jack nach dem Schürhaken griff, dachte sie, Papa sei so gut wie tot.
    Doch Papa holte sich auch den Haken. In dem Moment hätte er Jack den Rest geben können; er hatte die Gelegenheit. Hätte ihn nichts weiter gekostet als einen Schlag auf den Kopf mit dieser Eisenstange, aber das wollte er offenbar nicht – es war, als hielte ihn etwas zurück. Er packte Jack von hinten – so wie der auf einmal schlappmachte, höchstwahrscheinlich an den Eiern – und warf ihn Richtung Seitentür. Machte sie auf, gab ihm einen Tritt mit dem Stiefel in seinen Allerwertesten und warf ihm seine Winterjacke hinterher.
    Dann klopfte es an der Schlafzimmertür, und Nikki sagte: »Herein.« Papa kam nie herein, ohne vorher anzuklopfen. Er trat ein, setzte sich neben sie aufs Bett und legte ihr eine Hand auf die Schulter, als wäre sie diejenige, die Trost nötig hatte. Er hatte ein frisches, gut gebügeltes Hemd an – das Bügeln seiner Hemden war ihm heilig, und man wäre nie auf die Idee gekommen, dass er gerade eine Schlägerei hinter sich hatte, bei der ihm der Arm aufgeschlitzt worden war.
    Nikki fragte ihn, was der Arm machte.
    »Kein Problem. Nichts weiter. Und wie geht’s
dir?
Danke, dass du zu mir gehalten hast«, sagte Papa. »Mir geholfen hast.«
    Nikki hatte keine Ahnung, was er meinte. Manchmal stellte Papa die Dinge auf den Kopf. »Ich hab doch nichts getan«, sagte sie.
    »Nikki, Nikki, was mach ich nur mit dir?« Er drückte ihre Schulter. »Nie lässt du ein gutes Haar an dir. In dem Moment, als Jack zur Tür hinaus war, hast du dich um mich gekümmert. Whisky in der einen Hand, sauberes Handtuch in der anderen. Du warst mein Sanitäter auf dem Schlachtfeld. Ich weiß wirklich nicht, wie ich dir danken soll.«
    »Hätte ich einen kühlen Kopf bewahrt, hätte ich mir das Jagdgewehr geschnappt und ihm über die Rübe gezogen.«
    »Jack ist dein Bruder. Das will niemand.«
    »
War
mein Bruder.«
    »Oh, sollte mich nicht wundern, wenn Jack wieder angeschlichen käme. Wäre nicht das erste Mal, und in diesem Unwetter kommt er ohnehin nicht weit. Wenn er dann vor der Tür steht, braucht er Vergebung. Und weißt du was? Die kriegt er auch.«
    Er reichte ihr die Kleenex-Schachtel, sie schneuzte sich und versuchte, ihrer Gefühle Herr zu werden.
    »Jetzt setz dich schon. Du hast nicht den geringsten Grund, verzagt zu sein.« Er packte sie am Oberarm und hievte sie hoch.

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