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Eismord

Eismord

Titel: Eismord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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nicht mehr hin und her schwang. Die Augen waren geöffnet, in der Stirn befand sich ein schwarzes, glänzendes Loch.
    Rechts von Cardinal führte eine verwehte Fußspur im Schnee in die Richtung der Trapperhütte. Unmöglich zu sagen, ob es sich um eine oder zwei Fußspuren handelte. Er wandte sich wieder in seine ursprüngliche Richtung. Da lag etwas Orangefarbenes auf dem Boden – möglicherweise die Sicherheitsweste des hängenden Mannes. Cardinal ging hin und machte sich daran, den Schnee wegzuscharren.
    Es war nicht nur eine Weste. Cardinal griff unter die Schulter und drehte die Person um. Die Mütze fiel vom Kopf, der Schnee glitt vom Gesicht. Wieder eine Einschusswunde zwischen den Augen. Cardinal fand eine Brieftasche in der zugeknöpften Tasche der Cargohose. Tony Burwell. Die Ähnlichkeit mit dem hängenden Mann ließ nur den Schluss zu, dass es sich um Brüder handelte: der gleiche spitze Haaransatz, das gleiche aschblonde Haar, die gleichen leicht vorstehenden Augen, eine lange, ein wenig nach oben gebogene Nase, kleine Ohren. Brüder.
    Cardinal griff in die Innentasche seines Parkas. Sein Handy war nicht da. Er fand es in seiner Außentasche – nicht gut bei diesem Wetter. Er drückte die Schnellwahl zu Delormes Nummer. Er hörte es fünf, sechs, acht Mal klingeln. Das winzige Display zeigte einen guten Empfang, doch eine schwache Batterie an. Das musste von der Kälte kommen; er hatte sie gestern Abend aufgeladen.
    »Delorme.« Ihre Stimme ging fast im atmosphärischen Rauschen unter.
    »Was macht dein Gast? Kannst du reden?«
    Er bekam kaum eine Antwort. Er glaubte, das Wort »schläft« herausgehört zu haben. Cardinal sprach so ruhig, wie er konnte. »Kannst du nach draußen kommen? Die Verbindung ist sehr schlecht.«
    Es knackte im Handy. Dann Delormes abgehackte Stimme: »Hör dich.«
    Er wiederholte seine Botschaft. »Die Jäger – die Burwells – sind beide tot. Sie sind beide tot. Ermordet. Kannst du mich hören? Leg ihm Handschellen an, falls du kannst. Ich bin gleich bei dir.«
    Keine Antwort außer dem Zischen toter Luft.
    Er steckte das Handy in die Innentasche. Vielleicht konnte seine Körperwärme die Batterie wiederbeleben.
    Zwischen seinen Stiefeln und den Beinen steckte Schnee. Er bückte sich, um einen Schnürsenkel zuzubinden, und spürte im selben Moment einen brennenden Schmerz am Ohr. Den Knall hörte er eine Sekunde später. Eine starke Waffe, aus einiger Entfernung abgefeuert. Der Schneefall hatte für den Moment nachgelassen, so dass sich die Sicht verbessert hatte. Cardinal suchte hinter einem Baumstamm Schutz, der nicht dick genug war, um ihn ganz abzudecken.
    Der Schuss kam von irgendwo zwischen ihm und der Trapperhütte. Böen veränderten immer wieder die Sicht. Er glaubte, eine Gestalt mit Kapuze zu sehen, die geduckt durch den Schnee lief. Er zielte und drückte ab. In einer überschaubaren Situation war er ein guter Schütze, doch unter diesen Umständen hatte er wenig Vertrauen in seine Fähigkeiten. Und was nun?, fragte er sich. Was ist dein nächster brillanter Plan?
    Er suchte die Bäume ab. Außer Schnee und Eisregen bewegte sich dort nichts. Ein Baumstumpf und ein umgefallener Stamm etwa zehn Meter vor ihm auf dem Trampelpfad. Falls er daran vorbeikam, hatte er vielleicht genügend Deckung, um es zu Delorme zurückzuschaffen. Tief geduckt schlich er langsam vorwärts und sorgte dafür, dass der Baum zwischen ihm und der Stelle war, an der er den Schützen vermutete. Als er nahe genug herangekommen war, machte er einen Satz und landete unsanft hinter dem Baumstumpf.
    Noch eine Kugel zischte vorbei. Dann der Knall. Näher. Wenn er jetzt zur Hütte rannte, war er eine leichte Beute.

[home]
    38
    N ikki bürstete sich das Haar und drückte es mit der linken Hand glatt. Dann bürstete sie es wieder, doch egal, was sie tat, es stand ihr in drahtigen Büscheln vom Kopf ab. Gut sah es nur aus, wenn es nass war, doch selbst dann dauerte es höchstens ein paar Minuten, bis es sich wieder kringelte.
    »Spasti«, sagte sie zu ihrem Spiegelbild. Als sie das letzte Mal im Jugendknast so genannt worden war, hatte sie das Mädchen – eine absolute Schlampe namens Charlene, zwei Zellen weiter – um ein Haar erwürgt. Dabei sagte sie es andauernd zu sich selbst. Eine Zeitlang hatte sie einen Laptop gehabt – natürlich gestohlen, aber deshalb tat es trotzdem weh, wenn er einem selbst geklaut wurde –, auf dem gab es eine Software, mit der man sein Haar, sein

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