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Eismord

Eismord

Titel: Eismord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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es dem Mann, der es in einem Zug leerte. Er goss ihm noch mal ein und bot das Glas Delorme an, doch sie schüttelte nur den Kopf.
    Der Mann beruhigte sich allmählich. »Tut mir leid«, sagte er, »hatte nicht die Absicht, hysterisch zu werden.«
    Cardinal ging zur Tür und öffnete sie einen Spalt. »Der Sturm legt sich ein bisschen, ich geh da mal rüber.«
    »Tun Sie das ja nicht! Ich kann da nicht noch mal hin, Sie kriegen mich nicht dazu, noch mal da hinzugehen!«
    »Müssen Sie ja auch nicht.« Cardinal deutete auf die andere winzige Kammer. »Da ist noch ein Feldbett drin. Sie legen sich besser hin. Sie haben einen schrecklichen Schock erlitten.«
    »Oh, Mann, Schock trifft es nicht ganz. Ich glaube, ich drehe durch.«
    »Dann legen Sie sich hin.«
    Der Mann ging in die zweite Kammer und warf sich auf die untere Koje.
    »John«, sagte Delorme leise, »du kannst nicht allein da hinübergehen.«
    »Die wissen ja nicht, dass ich allein bin. Und die rechnen sowieso nicht mit der Polizei. Genauer gesagt, rechnen die mit niemandem, nicht bei diesem Wetter. Mit dem kommst du schon klar.«
    »Ich mach mir keine Sorgen wegen ihm. Ich mach mir Sorgen um dich.«
    »Die haben einen alten Mann als Geisel genommen. Ich muss wenigstens hinüber und nach dem Rechten sehen.«
    »John, wir müssen Verstärkung anfordern.«
    »Die werden jetzt nicht kommen. Sieh mal, wir haben es mit einem Mann und einem Mädchen zu tun. Und die wissen nicht, dass wir hier draußen sind.«
     
    Sobald Cardinal die Tür geschlossen hatte, hörte Delorme nur noch das leise Zischen der Lampe, das Pfeifen des Windes draußen und das gelegentliche Knistern im Ofen.
    Von ihrer Koje aus konnte sie in die dunkle zweite Kammer sehen. Sie rief: »Alles in Ordnung?«
    Keine Antwort. Sie lag da, horchte und kämpfte mit dem tiefen, pochenden Schmerz in ihrem Bein. Der Wind und das Knistern im Ofen erinnerten sie an Campingausflüge, die sie als Kind mit ihren Eltern unternommen hatte. Der Mann im anderen Zimmer fing an zu schnarchen.
    Nach einer Weile wurde ihr bewusst, dass sie Hunger und vor allem großen Durst hatte. Zu essen gab es in dieser kargen Hütte zweifellos nichts, doch auf einem Regalfach neben dem Ofen standen ein paar Wasserflaschen, daneben eine Dose Lipton’s-Tee.
    Sie stemmte sich in eine sitzende Haltung hoch und verlor vor Schmerzen fast das Bewusstsein. Sie hielt sich am Eisengestell ihres Feldbetts fest und wartete, bis die Schmerzen ein wenig abgeklungen waren. Dann stellte sie sich hin, indem sie ihr Gewicht auf das gesunde Bein verlagerte und sich an die Wand lehnte. Es war nicht viel schlimmer als im Sitzen.
    Der Ofen und das Wasser waren nur wenige Meter entfernt. Mit dem ersten Hopser kam sie bis zum Türrahmen zwischen Haupt- und Nebenzimmer. Sie packte die Pfosten und sog die Luft zwischen den Zähnen ein.
    Der Mann lag mit leicht geöffnetem Mund flach auf dem Rücken. Er war nicht besonders alt, vielleicht dreißig, doch er wirkte völlig erschöpft. Er hatte noch seine Jacke an, die orangefarbene Jagdweste darüber.
    Delorme atmete drei Mal tief durch und machte den nächsten Hopser. Sie fiel beinahe hin und musste sich an einer Strebe festhalten. Sie griff nach einer Flasche und drehte den Deckel auf, goss Wasser in einen Topf und stellte ihn auf den Herd. Es gab einen gewaltigen Donnerknall, und es musste geblitzt haben, doch durch die zugenagelten Fenster war von draußen nichts zu sehen.
     
    Cardinal blieb stehen, um sich den Schnee aus den Augen zu wischen. Inzwischen war er mit Eisregen vermischt, der auf der Haut brannte, dafür wurde die Sicht ein wenig besser. Er konnte das Stromkabel wieder erkennen – viel weiter weg, als er vermutet hatte. Er hatte nasse, kalte Füße und fragte sich, wie lange es dauern würde, bis er Frostbeulen bekam.
    Eine seltsame Gestalt tauchte zwischen den Diagonalen des Schneetreibens auf, etwa zwanzig Meter weg. Dunkelgrau vor hellgrauem Grund hing sie wie ein Tintenklecks zwischen den Bäumen.
    Sowie Cardinal näher kam, sah er, dass es ein Mensch war, ein Mensch, der mit dem Kopf nach unten baumelte, die Hände über dem Kopf, als wollte er sich ergeben.
    Eines seiner Beine war abgeknickt, das andere hing straff an einem Seil, das zu den oberen Ästen des Baumes reichte. Die Leiche schaukelte und drehte sich im Wind.
    Cardinal griff nach seiner Beretta. Das nach unten gewandte Gesicht des Mannes befand sich etwa auf Augenhöhe mit ihm. Cardinal packte einen Arm, damit die Leiche

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