Eismord
Familie jedoch katastrophale Konsequenzen haben würde. Ja, Sam wäre sicherer, doch es machte Cardinal nicht die geringste Freude, an einem losen Faden zu ziehen und einem jungen Mann das ganze Leben zu zerlegen.
Angesichts der detaillierten Informationen, die Cardinal von Troy Campbell und Sam Doucette zusammengetragen hatte, konnte selbst ein Anwalt vom Kaliber eines Dick Nolan nicht verhindern, dass Wishart einen Tag und eine Nacht im Gefängnis verbrachte. Zwar hatte die Staatsanwaltschaft nicht vor, ihn wegen versuchten Mordes anzuklagen – schließlich hatte Campbell sie nicht angerührt –, für Behinderung der Justiz und Einschüchterung reichte es allemal.
Als das erledigt war, ging Cardinal zu DS Chouinard und bat ihn darum, Sam und ihre Mutter in einem sicheren Haus unterzubringen.
Chouinards kategorisches Nein war für seine Verhältnisse eine ungewöhnlich kompromisslose Entscheidung. »Ich kann nicht mal nachvollziehen, wieso Sie darum bitten«, erklärte er. »Wishart wollte das Mädchen mundtot machen, um seine Karriere und seine Ehe zu retten. Aber nachdem diese Katze nun wirklich aus dem Sack ist, hat er nicht das geringste Motiv, sie noch einmal anzugreifen.«
»Ich mach mir nicht wegen Wishart Gedanken. Nicht Wishart, sondern der Mörder hat sie verfolgt und auf ihren Wagen geschossen. Und sie hat ihr Handy am Tatort verloren. Darauf sind ihr Foto, ihr Name und ihre Anschrift gespeichert.«
»Falls wir
sicher
wären, dass er ihr Handy hat, würde ich nicht zögern. Aber es hat keinerlei Aktivitäten unter ihrer Nummer gegeben.«
»Stimmt, doch es sendet noch einen Signalton, das heißt immerhin, dass es nicht gesperrt oder abgeschaltet ist. Wieso wird es nicht benutzt, falls es jemand gefunden hat?«
»Vielleicht will derjenige die SIM -Karte auswechseln, was weiß ich. Aber für mich deutet nichts darauf hin, dass es im Besitz des Mörders ist. Ebenso wenig müssen wir davon ausgehen, dass er ihr Autokennzeichen gesehen hat. Dagegen wissen wir sehr wohl, dass er ihr nicht weiter gefolgt ist. Also ist es eher unwahrscheinlich, dass sie in Gefahr ist.«
»Ich glaube nicht, dass wir das Risiko eingehen sollten.«
»Glücklicherweise unterliegt diese Entscheidung nicht Ihrer Kompetenz.«
»Hm, verstehe. Und wie steht’s mit Freund und Helfer?«
»Wissen Sie was, Cardinal? Ganz unter uns, und nehmen Sie’s nicht persönlich, aber Sie können mich mal.«
Cardinal nahm Sam und ihre Mutter mit aufs Revier, um ihre Aussage aufzuzeichnen und zu Protokoll zu nehmen. Sam setzte sich ihm gegenüber an den Tisch, ihre Mutter neben sie. Die Aufregung und Leidenschaft, die Sam bei ihrer letzten Begegnung gezeigt hatte, waren verflogen. Sie beschrieb in nüchternen Worten, wie Troy Campbell sie verfolgt hatte; erst als sie schilderte, wie Randall versucht hatte, sie davon abzubringen, zur Polizei zu gehen, wurde ihr Ton immer deprimierter.
Ihre Mutter, die adrett in Rock und Blazer erschienen war, schwieg, bis Sam geendet hatte. »Ein verheirateter Mann«, sagte sie leise, »was hast du dir nur dabei gedacht?«
»Ich hab gar nicht gedacht«, erwiderte Sam. »Ich hab gefühlt.« Mit Zeigefinger und Daumen strich sie sich eine Strähne ihres dunklen Haars aus der Stirn und hinters Ohr.
»Die Sache kam überall in den Nachrichten«, sagte Mrs. Doucette zu Cardinal. »Ich habe Angst, dass noch mal jemand sie verfolgt.«
»Wir haben mit den lokalen Medien gesprochen – sie werden weder Sams Namen noch ihr Foto bringen. Allerdings kann ich nichts versprechen, falls die überregionale Presse Wind davon bekommt. Mit einer Armbrust auf jemanden zu schießen, das ist nicht die beste Strategie, um anonym zu bleiben.«
»Ich weiß.
Indianermädchen schießt mit Pfeil und Bogen auf weißen Mann.
« Sie drehte sich zu ihrer Tochter um. »Schätzchen, du hast uns wahrscheinlich gerade hundert Jahre zurückgeworfen, aber ich bin froh, dass du es getan hast.«
»Ich sollte lieber Randall erschießen«, sagte Sam. »Ich kann es immer noch nicht glauben. Ich weiß, dass es stimmt, aber es will mir einfach nicht in den Kopf.«
»Ich kann nur hoffen, dass Sie diesen Mann hinter Schloss und Riegel behalten«, sagte Sams Mutter zu Cardinal.
»Ich tu auf jeden Fall mein Bestes.«
»Wissen Sie, wenn ein Bär sich in der Stadt verirrt und jemandem Schaden zufügt, töten sie ihn.«
»Mutter, bitte.«
»Bären haben kein Recht auf ein faires Verfahren«, erwiderte Cardinal.
Er lenkte die Aufmerksamkeit
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