Eismord
einen Hand und dem Glas in der anderen kehrte sie an den Tisch zurück und setzte sich ans Ende gegenüber Papa.
Er sah ihr beim Essen zu.
»Was ist los?«, fragte Nikki. »Wozu das Gewehr?«
Papa senkte den Blick auf seinen Schoß und sah wieder Nikki an. »Dein Bruder ist tot.«
Nikki erstarrte, den Löffel mitten in der Luft, so dass die Milch in die Schale darunter tropfte.
»Lemur ist tot. Er wurde letzte Nacht erschossen. Bei der Arbeit.«
Nikki tauchte den Löffel in die Schale und rührte ein wenig in ihrem Müsli. In ihrer Brust staute sich plötzlich ein Gefühl, mit dem sie nicht gerechnet hatte, und sie merkte, wie ihr die Tränen in den Augen brannten. »Wie ist es passiert?«
Eine Schlafzimmertür ging auf und zu. Es näherten sich Schritte, dann war Jack in der Küche.
Papa stand auf und richtete die Waffe auf ihn. Jack goss sich Kaffee ein und bemerkte sie nicht einmal, bis er sich zur Essecke umdrehte. Er nahm einen Schluck von seinem Kaffee, und sein Blick fiel auf das Gewehr. »Was soll das?«
»Hast du Lemur umgebracht? Ja oder nein?«
»Nein. Was ist denn passiert?« Jack wandte sich lässig zum Tisch und trank noch einen Schluck von seinem Kaffee.
Papa bediente den Spannhebel der Flinte und zielte erneut auf Jacks Brust. »Wo warst du letzte Nacht?«
»Ich bin in die Stadt gefahren. Ich war in einer Bar. Hab ein paar Bier getrunken. Hab mir eine Band angehört, die nicht mal im Takt spielen konnte. Bin zurückgefahren.«
»Beweis es.«
»Wie soll ich das denn machen? Mit vorgeladenen Zeugen? Hör auf, das Ding auf mich zu richten.«
»Ich könnte in diesem Moment deinem Leben ein Ende setzen.«
»Falls die Familie gerade einen Mann verloren hat, ist es wahrscheinlich nicht wirklich klug, wenn sie noch einen verliert.«
»Einen Verräter loszuwerden, ist reiner Gewinn.«
»Ich bin kein Verräter.« Jack stellte seinen Kaffeebecher auf den Tisch. »Leg das Ding weg, Papa.«
»Wann bist du nach Hause gekommen?«
»Keine Ahnung. Halb drei. Drei. Wieso ist das wichtig?«
»Lemur wurde etwa um neun Uhr abends ermordet.«
»Ich kann nichts daran ändern, Papa. Du auch nicht.«
»Ich könnte dir die Birne wegpusten.«
»Na, dann tu, was du nicht lassen kannst. Denn wenn du es nicht tust, reiß ich dir diese Flinte aus der Hand und schlag dir damit den Schädel ein.«
Papa war mit drei flinken Schritten bei ihm und versetzte Jack mit dem Gewehrkolben einen gezielten, kurzen Schlag. Jack fiel seitlich von seinem Stuhl. Sein Becher rollte auf dem Boden in die entgegengesetzte Richtung, und es duftete nach Kaffee.
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25
A m Freitagmorgen bat Delorme Staff Sergeant Flower, zu überprüfen, ob in der Gegend der Roxwell und der Clement irgendwelche Strafzettel ausgestellt worden waren. Der Junge musste mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dorthin gefahren sein, und doch hatten auf dem Parkplatz des Einkaufszentrums oder an der Straße keine verdächtigen Fahrzeuge geparkt. Er war vermutlich in diese Gasse gelaufen, um seinen Wagen zu holen, der folglich an der Clement Street hätte stehen müssen. Offenbar hatte er woanders geparkt, und sie hatten das Fahrzeug noch nicht gefunden. Zwanzig Minuten später kam Sergeant Flower mit der Antwort zurück: Ja, ein Pkw sei abgeschleppt worden. Ein erboster Anwohner hätte sich gemeldet und darüber beschwert, dass so ein Idiot doch wahrhaftig mitten in seiner Einfahrt geparkt hätte. Dafür zahlte er Steuern? Wo? Drittes Haus vom Einkaufszentrum aus.
Delorme rief beim städtischen Abschleppdienst an. Der Mann, der sich meldete, hatte offenbar das Bedürfnis, einen langweiligen Job ein wenig aufregender zu gestalten, indem er im Jargon eines Marines bei einer wichtigen Operation sprach.
»Clement Street?«, fragte er. »Kann ich bejahen.«
»Welche Nummer in der Clement Street?«
»Einen Moment, bitte …« Klappern einer Tastatur, als er in einem Protokoll nachsah. »Nummer zwölf, wiederhole, eins zwo. Nummer zwölf, Clement Street.«
»Können Sie mir wohl die Fahrzeugidentifikationsnummer und das Kennzeichen durchgeben?«
»Kennzeichen lautet Anton-Nordpol-Friedrich-Cäsar-zwo-acht-neun.«
Delorme schrieb es sich auf, bevor er ihr in noch zackigerem Ton die wesentlich längere ID-Nummer diktierte. Sie bedankte sich, und er sagte: »Roger.« Sie tippte die ID-Nummer in die Datenbank des Verkehrsministeriums ein. Der Wagen, ein silbergrauer Mazda 3, war auf Dr. und Mrs. T. J. Walker aus Barrie, Ontario, zugelassen.
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