Eismord
auf die Nacht, in der die Morde geschehen waren, und ging mit Sam noch einmal alle Einzelheiten durch – von ihrer Ankunft im Champlain über Randalls Anruf bis zur Fahrt an den Trout Lake. Sie erzählte ihm jede Einzelheit, nach der er sie fragte, und noch einiges mehr. Wie schon bei ihrem anonymen Anruf betonte sie noch einmal, der Mann, der mit den Bastovs gekommen sei, habe nicht mit russischem Akzent gesprochen. Während sie das sagte, wurde ihr zum ersten Mal bewusst, dass dieser Mann möglicherweise aus den Südstaaten kam. Dem amerikanischen Süden.
»Woraus schließen Sie das?«
»Er hat ein paar Mal
you-all
gesagt. Und wie er einige Wörter ausgesprochen hat. So gedehnte, lange Vokale, nicht besonders betont, aber irgendwie klang es für mich nach dem Süden.«
»Und er hat versucht, den Bastovs das Haus zu verkaufen?«
»Er hat ihnen das Bad gezeigt. Die Schlafzimmer. Sie auf Details aufmerksam gemacht. Das Licht an- und ausgeknipst. Er hat ihnen etwas über die Aussicht erzählt. Dass sie bei Tage noch mal wiederkommen müssten, um sich selbst zu überzeugen. Das hat mich gewundert, weil Randall und Mr. Carnwright die einzigen Männer in der Firma sind.«
Sam machte präzise Angaben über den Zeitpunkt, zu dem die Schüsse gefallen waren, und steuerte auch andere akustische Eindrücke bei – der Mann klang, als ob er hochgewachsen und ziemlich schwer sein müsste, große Schuhe, auch wenn sie sicher nicht in der Lage sein würde, ihn zu identifizieren: ein kurzer Blick bei Nacht, die Umrisse einer Gestalt im Mondlicht. Sie beschrieb die Verfolgung und wie die Kugeln in ihren Wagen einschlugen.
Sams Mutter meldete sich zu Wort. »Wie wollen Sie Sam vor dieser Bestie schützen?«
Cardinal versuchte, ihr Chouinards Logik zu erklären, als glaubte er selbst daran. »Vielleicht haben Sie irgendwelche Angehörigen, bei denen Sie eine Weile bleiben könnten«, fügte er hinzu. »Jedenfalls wäre es ganz gut, wenn Sam für einige Zeit aus der Stadt verschwinden würde.«
»Mit anderen Worten, Sie haben nicht die Absicht, etwas zu unternehmen.«
Cardinal erbot sich, ihnen einen Streifenwagen in regelmäßigen Abständen am Haus vorbeizuschicken.
»Das klingt nicht gerade nach einer knallharten Sicherheitsmaßnahme. Genauer gesagt, klingt es erbärmlich.« Sie wandte sich an ihre Tochter. »Schätze, wir könnten zu Susanna in Dokis.«
»Na großartig«, erwiderte Sam. »Und ich verliere meinen Job und mein Semester.«
»Nein«, widersprach ihre Mutter, »das lassen wir nicht zu.«
Cardinal gab sich, als er die beiden nach Hause fuhr, Mühe, Optimismus zu verbreiten. Er schrieb Sam sogar seine Handynummer auf, was er noch nie bei einem Zeugen getan hatte, doch der Blick der Mutter beim Abschied beschämte ihn zutiefst.
Gerade als Cardinal Feierabend machen wollte, traf das Video der Überwachungskamera vom Pearson International Airport ein.
»Hey, Delorme«, sagte er und hielt es in die Höhe. Sie war in der Kabine nebenan gerade dabei, ihren Computer herunterzufahren. »Heute Abend Lust auf ein Video?«
Sie fuhren in getrennten Wagen zu Delormes Bungalow. Der kleine Klinkerbau im Schnee war ein hübscher Anblick. Seit Cardinal das letzte Mal da gewesen war, hatte sie Weihnachtsschmuck angebracht.
Cardinal setzte sich mit einer Schale Tortillachips aufs Sofa und ging die Sender durch, während Delorme Chili auftaute. Er bekam einen Teil einer Doku über die Entdeckung einer britischen Fregatte mit, die im Krieg von 1812 im Eriesee gesunken war. Ein Bergungsteam aus Toronto testete ein neues Unterwassersonargerät, das mit Hilfe von Computertechnologie Schallwellen in bemerkenswert deutliche Bilder umwandelte. Cardinal notierte sich den Namen des Bergungsteams.
Delorme kam mit dem Essen herein, griff zur Fernbedienung und schaltete das Video ein. Sie hatten eine Weitwinkelansicht der Parkebene 5 mit etwa einem Dutzend Fahrzeugen vor sich. In der Ecke rechts unten spulte die Zeituhr die Sekunden ab.
»Vor drei Wochen«, sagte Delorme. »Etwas länger.«
»Es ist der dritte Wagen von links.« Cardinal zeigte mit der Gabel darauf. »Gutes Chili.«
»Die Frankokanadier haben schon immer das beste Chili gemacht.«
Aus dem Vordergrund trat, den Rücken der Kamera zugewandt, eine Gestalt mit Kapuze ins Bild. Derjenige trug einen prallvollen Rucksack.
»Könnte unser Geldautomaten-Junge sein«, sagte Delorme. Sie stellte den Teller auf dem Couchtisch ab und setzte sich wie ein Teenager mit
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