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Eisnacht

Eisnacht

Titel: Eisnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Brown
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einmal aus dem zweiten Inhalator und schluckte dann eine Pille. Während sie trank, fiel ihm auf, dass die Farbe in ihre Lippen zurückkehrte, woraus er schloss, dass sie inzwischen genug Sauerstoff bekam, obwohl ihre Lunge immer noch klang wie ein verstimmter Dudelsack.
    »Dieses Spray ist echt gut«, sagte er. »Ich wusste nicht, welches ich nehmen muss. Offenbar habe ich das Richtige erwischt.« Sie nickte knapp.
    Sein Blick tastete ihr Gesicht ab. Sie bewegte sich und atmete, und allmählich kehrte die Farbe zurück, aber er befürchtete, dass er möglicherweise wieder halluzinierte, wie so oft während seines Rückmarschs vom Auto zur Hütte.
    Alle seine Halluzinationen hatten sich um Lilly gedreht. In einigen hatte er sie bei seiner Rückkehr blau und kalt vorgefunden, erstickt, reglos und tot. In anderen war sie strahlend warm, voller Leben, sexy und bereit und hatte ihn tief und leidenschaftlich in sich aufgenommen.
    In Wahrheit war sie weder leblos noch lustvoll, sondern nur benommen. »Du musst in Ohnmacht gefallen sein, kurz bevor ich kam«, erklärte er. »Ich habe dich mehrmals angesprochen, aber du hast nicht reagiert und dich nicht mal bewegt. Dein Brustkorb hat sich nicht mehr gehoben. Du hast mir eine Todesangst eingejagt«, sagte er schroff. »Ich dachte, ich wäre zu spät gekommen.«
    In einem fast lautlosen Flüstern antwortete sie: »Das dachte ich auch.« Dann verzog sich ihr Gesicht unter dem Ansturm der Gefühle. So als wäre ein Damm gebrochen, der bis jetzt ihre Tränen zurückgehalten hatte, überschwemmten sie ihre Augen.
    Er reagierte ganz spontan. Nicht einmal einen Herzschlag später saß er neben ihr auf dem Sofa und hatte den Arm um ihre bebenden Schultern gelegt. »Schon okay. Ich bin wieder da, und du bist noch am Leben.«
    Sie sackte gegen seine Brust. Er hob sie auf seinen Schoß, wiegte sie wie ein Kind, schloss sie in die Arme und beugte seinen Kopf über ihren. Er spürte, wie sie sich instinktiv in seinen Pullover krallte.
    »Psst, psst.« Er strich mit den Lippen über ihr Haar. »Nicht weinen, Lilly. Du sollst doch nicht weinen, vergiss das nicht. Du willst nicht noch mal einen Anfall bekommen, oder?«
    Er hob mit der Fingerspitze ihr Gesicht an und strich ihr verfilztes Haar zurück. Gott sei Dank war ihr Gesicht keine aschgraue Totenmaske mehr. Ihren Kopf mit beiden Händen haltend, fuhr er mit dem Daumen über ihre Wangen, um die Tränen abzuwischen.
    Dann sah er ihr in die Augen und sagte: »Nichts außer dem Tod hätte mich davon abhalten können zurückzukommen.«
    Sein Blick senkte sich auf ihren Mund. Ihre Lippen waren jetzt weich, voll und rosa, leicht geteilt, zitternd, feucht nach dem Glas Wasser und vielleicht von ihren Tränen. Die weiche Haut in der Mulde unter ihrem Hals pulsierte bei jedem Herzschlag.
    Mühsam den Instinkt niederkämpfend, der ihn zu überwältigen drohte, stand er auf, ohne sie aus seinen Armen zu lassen, und trug sie neben das Sofa, wo er sich mit ihr zusammen auf der Matratze niederließ. Er lehnte sich mit dem Rücken gegen die Armlehne des Sofas, die Füße zum Feuer hin ausgestreckt, Lilly auf seinem Schoß.
    Dann drückte er ihren Kopf auf seine Brust zurück, bis sie ihre Wange an ihn schmiegte. Er griff nach einer der Decken und deckte sie beide damit zu, bevor er sie noch einmal an seine Brust drückte und sein Kinn auf ihren Scheitel sinken ließ.
    All das ließ sie langsam zur Ruhe kommen. Er bildete sich nicht ein, dass sie das Lämmchen spielte, weil sie ihm vertraute. Er hatte die Nachricht gesehen, die sie ins Holz des Küchenschranks geritzt hatte. Sie erlaubte ihm nur, sie im Arm zu halten, weil das Trauma, das sie durchlitten hatte, sie vollkommen erschöpft hatte.
    Lange nachdem sie eingeschlafen war, starrte er in die Flammen und genoss das köstliche Vergnügen und die peinigende Qual, sie umarmen zu dürfen und ihre weiche Brust an seinem Bauch zu spüren. Gelegentlich krallten sich ihre Finger in das Wollgewebe seines Pullovers. Er hätte gern geglaubt, dass sie sich damit vergewissern wollte, ob er noch da war, aber möglicherweise war es schlicht ein Reflex auf ihre innere Aufgewühltheit, auf eine unbewusste Unruhe.
    Er versuchte, nicht daran zu denken, wie seidig ihre Zunge über seine geglitten war, als er sie vergangene Nacht geküsst hatte, oder welch göttlichen Anblick ihre Brüste unter dem nassen Elastikstoff des T-Shirts letztes Jahr im kalten Flusswasser geboten hatten oder wie sehr er sich danach

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