Eisnacht
fest wirkte, warum er ihr zum Schuppen nachgerannt war, warum er überhaupt nicht überrascht war, Millicents Leichnam zu sehen, der so lieblos und respektlos in eine kalte, ungehobelte Kiste voll rostiger Werkzeuge gestopft worden war.
Er kam mit langen Schritten auf sie zu und näherte sich ihr rasend schnell, doch Lilly blieb wie angewurzelt stehen. Sie war wie gelähmt vor Schreck, als wäre sie in einem Albtraum gefangen und könnte die Beine nicht mehr rühren.
Erst in der letzten Sekunde entdeckte sie, dass sie sich bewegen konnte. Als er sie bei den Schultern packte, wehrte sie sich mit allen Mitteln, die sie hatte - Nägeln, Zähnen, Fäusten.
Sie hinterließ leuchtend rote Striemen auf seiner Wange, ehe er die Arme um sie schlingen und ihre Hände festhalten konnte. »Hör auf, Lilly!«
Er schnaufte und keuchte.
Nein, nicht Tierney machte dieses grässliche Geräusch. Das war ihr eigener, asthmatisch pfeifender Atem.
»Verflucht noch mal, Lilly! Halt endlich still!«
»Du Mörder!«
Dann sah sie, wie seine Hand seitlich auf ihren Hals zuschoss.
Es tat gar nicht weh.
Kapitel 29
Special Agent Charlie Wise saß senkrecht im Bett, als sein Handy zu läuten begann. Blind tastete er zwischen seinen Schlüsseln, dem Wechselgeld, dem Etui mit der Polizeimarke und der Brille herum, die er auf dem Nachttisch abgelegt hatte, als er zu Bett gegangen war. Er hatte geschlafen wie ein Toter, aber das helle Bimmeln seines Handys wirkte genauso unfehlbar wie das Piepen eines Rauchmelders und riss ihn gnadenlos aus der Besinnungslosigkeit. Gut möglich, dass er einen Herzinfarkt bekommen würde, nachdem er so abrupt aus dem Schlaf gerissen worden war, aber erst musste er diesen Anruf entgegennehmen. Er klappte das Gerät auf und drückte es ans Ohr. »Wise.«
»Morgen, Hoot. Habe ich Sie aufgeweckt?« Es war Perkins. Die Verbindung rauschte und knisterte, aber wenn er genau hinhörte, konnte er etwas verstehen. »Nein«, log er und setzte die Brille auf. »Ich bin nur überrascht. Bis das Handy losging, wusste ich gar nicht, dass ich wieder Empfang habe.«
»…schrauber… etwa vor… Stunden. Wetter ist heikel… sagt…«
»Moment. Sind Sie noch da, Perkins? Moment!« Hoot strampelte die Decke weg. Dann sprang er aus dem Bett und lief ans Fenster, weil er hoffte, dort besseren Empfang zu haben. »Perkins?«
»Sie sind kaum noch zu verstehen, Hoot.«
»Geben Sie mir das Wichtigste durch.«
»Hubschrauber. Ankunft Cleary zirka zehn Uhr. Reitlings und Suchmannschaft mit drei Männern. Ein Exscharfschütze aus dem HRT.« Dem Geiselrettungskommando. »Gute Nachrichten. Sonst noch was?«
»Ja, wegen Tier… hat… Nacht. Muss es… weg… irgendwas…«
Frustriert drehte sich Hoot im Kreis und versuchte, jenen einen Punkt im Raum zu finden, an dem ihre Verbindung halten würde. Dann begriff er, dass sie bereits zusammengebrochen war. Er sah aufs Display. Das Betreiberlogo war erloschen.
»Hoot?«
Begley stand in der Tür zu dem Gästeraum, in dem Hoot geschlafen hatte. Er hielt seine Bibel in der Hand und hatte die Seite mit dem Finger markiert. Er war bereits angezogen und wirkte frisch wie der junge Morgen, was Hoot schmerzhaft bemisst machte, dass er bibbernd und in der Unterhose vor seinem Chef stand. »Morgen, Sir. Das war Perkins. Der Helikopter wird um zehn Uhr hier sein.«
»Exzellent.« Begley sah auf die Uhr. »Sobald Sie angezogen sind…«
»Ja, Sir.«
Begley machte einen Schritt zurück und drückte die Tür wieder zu.
Zum Glück lief Gus Elmers Heißwasserboiler mit Gas, sodass Hoot noch mal duschen konnte, obwohl er das erst gestern Abend getan hatte, nachdem sie sich eingemietet und die Hütte Nummer sieben bezogen hatten. Begley wollte eine Hütte möglichst nahe bei der Nummer acht, denn er wollte sich nicht darauf verlassen, dass Dutch Burton seiner Neugier widerstehen konnte.
Besonders frustrierend fand Begley, dass er Tierneys Computer nicht hochfahren konnte, weil es keinen Strom gab. Er wollte um jeden Preis Tierneys Dateien sichten. Hoot war insgeheim froh über die Verzögerung. Er war völlig übermüdet und bezweifelte schwer, dass er in der Lage gewesen wäre, Tierneys Passwort zu knacken.
Ihre Hütte war die einzige andere im Motel, die zwei durch ein Wohnzimmer mit Kochnische voneinander getrennte Schlafzimmer hatte.
Sie behalfen sich mit dem Licht aus dem Kamin, Kerzen und einem Kerosincampingkocher. Nachdem sie eine Dose Chili verspeist hatten, das Gus Elmer ihnen
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