Eisnacht
offenen Worte, aber du siehst beschissen aus.«
»So fühle ich mich auch.«
»Genau, und das sieht man dir an. An der Miene, am Gang. Der Arsch hängt dir in den Kniekehlen, mein Freund. Du strahlst so viel Spaß aus wie eine Herpesblase. So wirst du bestimmt nicht die Art von Frau finden, die du jetzt brauchst.«
»Und welche Art wäre das?«
»Eine Anti-Lilly. Halt dich fern von Brünetten mit braunen Augen.«
»Haselbraun. Eigentlich sind ihre Augen grün und braun gesprenkelt.«
Wes tadelte ihn für diese detaillierte Auskunft mit einem strafenden Blick. »Nimm dir eine Blondine. Am besten eine Kleine.
Mit großen Titten und einem Arsch, an dem du Klimmzüge machen kannst. Eine Tussi, nicht allzu schlau, ohne eigene Meinung außer zu deinem Schwanz, den sie für einen verfickten Zauberstab hält.« Wes war ganz angetan von dieser Beschreibung einer perfekten Frau; das Grinsen ließ sein ganzes Gesicht erstrahlen.
»Weißt du was?«, fuhr er fort. »Ich schau später bei dir vorbei. Dann machen wir eine Flasche Jack's nieder und überlegen eine Strategie für dich. Ich hätte auch ein paar schmutzige Videos, die wir anschauen könnten. Wenn dich die nicht umstimmen, dann bist du kein Mensch. Was hältst du davon?«
»Ich darf nicht trinken, hast du das vergessen?«
»Die Vorschriften gelten nicht während eines Schneesturms.«
»Sagt wer?«
»Ich.«
Es war fast unmöglich, Wes zu widerstehen, wenn er jemanden zu umgarnen versuchte, aber Dutch versuchte standhaft zu bleiben. Er legte den Rückwärtsgang ein. »Ich habe heute Nacht mehr als alle Hände voll zu tun.«
»Komm vorbei.« Wes drohte Dutch streng mit dem Finger und trat einen Schritt zurück. »Ich warte auf dich.«
Dutch reihte sich wieder in den Verkehr ein und lenkte den Bronco zu dem flachen Backsteinbau einen Block abseits der Main Street, in dem das Police Department untergebracht war.
Ehe er endgültig aus dem Atlanta Police Department geflogen war, hatte Dutch die Auflage bekommen, zweimal wöchentlich den Polizeipsychologen aufzusuchen. Der hatte Dutch während einer dieser Sitzungen eröffnet, dass er paranoide Züge habe. Aber wie ging noch mal der alte Witz? Dass du paranoid bist, heißt noch lange nicht, dass es nicht jeder auf dich abgesehen hat.
Allmählich begann er zu glauben, dass es heute die ganze verdammte Welt auf ihn abgesehen hatte.
Als er in die Zentrale trat und Mr und Mrs Ernie Gunn im Wartebereich sitzen sah, war das Maß voll. Offenbar trug er eine Zielscheibe auf dem Rücken. Lilly, Millicent Gunns Eltern, jeder in Cleary und sogar das Wetter hatten sich verschworen, um diesen Tag zum schlimmsten seines Lebens zu machen.
Na gut. Zu einem der schlimmsten.
Mrs Gunn, selbst in ihren besten Zeiten ein hagerer Spatz, sah aus, als hätte sie kein Auge zugetan und keinen Bissen gegessen, seit ihre Tochter vor einer Woche verschwunden war. Der kleine Schädel ragte aus dem Kragen ihres Steppmantels wie der Kopf einer Schildkröte aus dem Panzer. Sobald Dutch den Raum betrat, sah sie ihn mit nackter Verzweiflung an.
Er kannte dieses Gefühl nur zu gut. Natürlich fühlte er mit ihr. Aber trotzdem war Mrs Gunns Verzweiflung heute Nacht mehr, als er ertragen konnte, denn heute hatte er genug damit zu tun, gegen seine eigene anzukämpfen.
Mr Gunn war ein rundlicher Mann, der in seinem rot-schwarz karierten Wollmantel, in Dutchs Augen ein richtiger Holzfällermantel, noch größer wirkte. Tatsächlich arbeitete Gunn mit Holz. Seine von jahrzehntelanger harter Arbeit und Kälte gezeichneten Schreinerhände sahen aus wie zwei mit Zucker glasierte Schinken.
Er drehte den Hut zwischen den vernarbten Fingern und starrte mit leerem Blick auf den fleckigen braunen Filz. Auf einen Ellbogenstoß seiner Frau hin sah er auf, folgte ihrem hohläugigen Blick und sah Dutch ebenfalls an.
Er stand auf. »Dutch.«
»Ernie. Mrs Gunn.« Dutch nickte ihnen jeweils zu. »Es wird immer schlimmer da draußen. Sie sollten zu Hause bleiben.«
»Wir wollten nur fragen, ob es irgendwas Neues gibt.«
Dutch wusste genau, warum sie ihm auflauerten. Er hatte heute mehrere telefonische Anfragen von ihnen erhalten, aber keine davon beantwortet. Er wünschte, einer seiner Männer hätte ihn vorgewarnt, dass die beiden in der Zentrale auf ihn warteten, dann hätte er seine Rückkehr hinauszögern können, bis sie aufgegeben hätten und heimgekehrt wären. Aber jetzt war er hier, und sie waren es auch. Da konnte er die Sache genauso gut hinter
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