Eisnacht
wusste, wie ihm geschah, hatten sie ihren Handel mit einem Handschlag besiegelt.
Hier war er bekannt und angesehen. Er kannte die Menschen und die Gegend wie seine Westentasche. Wieder nach Cleary zu ziehen war, wie in ein ausgelatschtes Paar Schuhe zu steigen. Dennoch hatte die Sache einen schwerwiegenden Nachteil. Er war in einem Chaos gelandet, das ihm sein Vorgänger hinterlassen hatte, dessen Kenntnisse in der Verbrechensbekämpfung sich darauf beschränkt hatten, Strafzettel zu verteilen.
Gleich am ersten Tag im neuen Job hatte man Dutch die Fälle der vier vermissten Frauen aufs Auge gedrückt. Inzwischen wurde eine fünfte Frau vermisst. Er hatte ein begrenztes Budget, eine schlecht ausgebildete und unerfahrene Mannschaft und zudem das FBI am Hals, das ihm ständig arrogant in die Arbeit pfuschte und hinzugezogen worden war, weil die Vermissten allem Anschein nach entführt worden waren und für dieses Vergehen die Bundespolizei zuständig war.
Zweieinhalb Jahre nachdem das erste Mädchen mitten auf einem beliebten Wanderweg verschwunden war, hatten sie immer noch keinen Verdächtigen. Das war nicht Dutchs Schuld, aber die Sache war inzwischen sein Baby, und es entwickelte sich ganz und gar nicht wunschgemäß.
Er war nicht in der Stimmung, sich kritisieren zu lassen, nicht einmal von Menschen, die durch die Hölle gehen mussten. »Ich habe noch eine Liste mit Freunden und Bekannten Millicents abzuarbeiten«, sagte er. »Sobald das Wetter aufklart, werden alle Männer im Department und ich wieder nach ihr suchen, darauf haben Sie mein Wort.« Er stand auf, um anzuzeigen, dass das Gespräch beendet war. »Möchten Sie, dass Sie jemand in einem Streifenwagen heimfährt? Die Straßen werden allmählich gefährlich.«
»Nein danke.« Mit bewundernswerter Würde half Mr Gunn seiner Frau aus dem Stuhl und geleitete sie zur Tür.
»Versuchen Sie, das Beste anzunehmen, so schwierig das auch ist«, riet ihnen Dutch, während er ihnen durch den kurzen Korridor folgte.
Mr Gunn nickte nur, setzte seinen Hut auf und eskortierte seine Gemahlin durch die Tür in den heulenden Wind hinaus. »Chief, wir haben ein…«
»Sofort.« Dutch hob die Hand und unterbrach damit den Officer an der Telefonzentrale, auf der alle offenen Leitungen rot blinkten. Dann zog er sein Handy aus dem Gürtel und sah nach, wer angerufen hatte.
Lilly. Sie hatte eine Nachricht hinterlassen. Hastig drückte er die Nummer seines Voicemails.
»Dutch, ich weiß nicht, ob… kommen oder nicht. Ich… Unfall auf der Bergstraße… Ben Tierney… verletzt. Wir sind… Hütte. Er braucht… Arzt. Wenn… möglichst… Hilfe. Sobald… möglich.«
Kapitel 6
Lilly hatte die Nachricht knapp und deutlich gehalten, falls das Handy zwischendurch das Netz verlieren sollte. Als sie fertig gesprochen hatte, war das Handy schon wieder tot. Lilly hatte die Nachricht knapp und deutlich gehalten, falls das Handy zwischendurch das Netz verlieren sollte. Als sie fertig gesprochen hatte, war das Handy schon wieder tot.
»Ich weiß nicht, wie viel davon angekommen ist«, sagte sie zu Tierney. »Vielleicht reicht es, damit sich Dutch den Rest zusammenreimen kann.« Sie hatte die Picknickdecke vom Kopf gezogen, sie aber nicht von den Schultern gestreift. Die Wolle war feucht und mit langsam schmelzenden Hagelkörnern übersät. Lilly war durchnässt, ihr war kalt, und sie fühlte sich nicht wohl.
Natürlich konnte sie sich nicht beschweren. Verglichen mit Tierneys waren ihre Beschwerden lächerlich. Er saß aufrecht, schwankte aber hin und her, als könnte er jeden Moment vornüberkippen. Seine schwarze Wollmütze war mit frischem Blut durchtränkt. Das an seinen Brauen und Wimpern hängende Eis verlieh ihm ein gespenstisches Aussehen.
Sie deutete auf seine Augen. »Sie haben da…«
»Eis hängen? Das haben Sie auch. Das ist gleich getaut.«
Sie wischte sich die Eiskristalle von den Augen und der Nase. »So war ich noch nie den Elementen ausgesetzt. Noch nie. Das Schlimmste, was mir bis heute passiert ist, war, dass ich ohne Schirm im Regen stand.«
Sie stand auf und trat ans Wandthermostat. Nachdem sie den Zeiger hochgeschoben hatte, hörte sie das beruhigende Surren der Luft aus den Heizungsschlitzen in der Decke. »Gleich wird es hier drin wärmer.« Auf dem Rückweg zum Sofa stellte sie fest: »Ich kann meine Finger und Zehen nicht mehr spüren.«
Er steckte den Mittelfinger zwischen die Zähne und zog so den Handschuh aus, bevor er sie zu seinem Sofa
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