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Eisnacht

Eisnacht

Titel: Eisnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Brown
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Manteltaschen. »Ach, das Erste-Hilfe-Päckchen«, rief sie aus. »Das hätte ich fast vergessen.«
    Sie zog es aus der Manteltasche. Es war eine kleine Plastikschachtel mit einem roten Kreuz auf dem Deckel, ein Notfall-Set, das eine gewissenhafte Mutter in ihre Handtasche stecken würde, bevor sie zum Spielplatz aufbrach. Sie klappte den Deckel auf und prüfte den Inhalt.
    »Viel haben wir nicht, fürchte ich. Aber wenigstens können wir die Kopfwunde mit einem Desinfektionstuch säubern.« Sie sah ihn zweifelnd an. »Wollen Sie die Mütze selbst abziehen, oder soll ich das übernehmen? So oder so wird es schmerzhaft, Mr Tierney.«
    »Lilly?«
    »Hmm?«
    »Warum bin ich plötzlich Mr Tierney für dich?«
    Sie zuckte verlegen mit den Achseln. »Ich weiß nicht, ich finde das irgendwie… angemessener. Unter den gegebenen Umständen.«
    »Die Umstände, dass wir für unabsehbare Zeit von der Welt abgeschnitten und aufeinander angewiesen sind, wenn wir überleben wollen?«
    »Was ziemlich befremdlich ist.«
    »Wieso das?«
    Sie sah ihn ärgerlich an, weil er sich so begriffsstutzig stellte. »Weil wir uns abgesehen von dem einen Tag am Fluss gar nicht kennen.«
    Als er aufstand, schwankte er sichtbar. Aber er konnte sich lang genug auf den Beinen halten, um zu ihr zu kommen. »Wenn du meinst, dass wir uns nicht kennen, hast du diesen Tag ganz anders in Erinnerung als ich.«
    Sie machte einen Schritt zurück und schüttelte den Kopf, entweder um die Erinnerung an den gleißenden Sommertag abzuschütteln, oder um ihn abzuwehren. Sie wusste selbst nicht genau, was davon zutraf. »Hör zu, Tierney…«
    »Lobet den Herrn!« Er ließ das einnehmende Lächeln aufleuchten, an das sie sich beängstigend gut erinnerte. »Endlich bin ich wieder Tierney.«
    »Tierney?« Special Agent in Charge Kent Begley wiederholte den Namen.
    »Genau, Sir. T-i-e-r-n-e-y. Vorname Ben«, wiederholte Special Agent Charlie Wise.
    Jeder im FBI-Büro in Charlotte redete Charlie Wise mit seinem Spitznamen an: Hoot. Irgendwer - wer, konnte niemand mehr genau sagen - hatte das »Weise« in seinem Nachnamen mit einem Waldkauz in Verbindung gebracht. Dass der Spitzname hängen geblieben war, hatte auch damit zu tun, dass er eine dicke Schildpattbrille mit großen, runden Gläsern trug, die seinem Gesicht etwas eulenhaftes verliehen.
    Durch ebendiese Gläser spähte Begley jetzt in Hoots reglose Augen und fixierte ihn mit jenem bohrenden Blick, den seine Untergebenen »Nussknacker« nannten. Natürlich nur hinter Begleys Rücken.
    Begley war ein glaubensfester, wiedergeborener Christ und hatte stets eine Bibel zur Hand, auf deren schwarzem Umschlag in Gold sein Name eingraviert war. Man sah der Bibel an, dass viel darin gelesen wurde. Begley zitierte oft daraus.
    Eine der Kerben auf Begleys unbeugsamer moralischer Messlatte kennzeichnete den Gebrauch von Flüchen oder Anzüglichkeiten. Beides fand er unerträglich und gestattete er den Männern und Frauen in seiner Abteilung unter keinen Umständen. Er selbst verwendete solche Ausdrücke nur, wenn er das Gefühl hatte, seinen Worten besonderen Nachdruck verleihen zu müssen - was etwa alle zehn Sekunden vorkam.
    Hoot war ein zuverlässiger, fähiger und zielstrebiger Agent. Er wand sich weniger als die meisten anderen unter Begleys Nussknackerblick. Niemand wusste, wie schnell er mit der Waffe war, aber niemand zweifelte an seiner Schnelligkeit an der Computertastatur. Er war exzellent beim Recherchieren, in diesem Bereich machte ihm niemand was vor. Wenn Hoot die gewünschten Daten nicht ausgraben konnte, dann gab es keine entsprechenden Daten.
    Selbstsicher stellte er sich dem Blick seines Vorgesetzten. »Ich habe mich seit mehreren Tagen über Ben Tierney kundig gemacht, Sir, und bin dabei auf einige interessante Fakten gestoßen.«
    »Ich höre.«
    Begley deutete auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch, aber da sein Blick Hoot warnte, keine Zeit zu verschwenden, begann Hoot zu reden, noch bevor er sich hingesetzt hatte.
    »In den letzten Jahren war Ben Tierney fast regelmäßig in der Gegend, und zwar alle paar Monate. Er bleibt ein paar Wochen, manchmal einen ganzen Monat, und zieht dann weiter.«
    »Viele Leute fahren nur übers Wochenende da rauf. Oder zum Urlaub machen«, sagte Begley.
    »Das ist mir bewusst, Sir.«
    »Inwiefern unterscheidet er sich von denen? Stimmen seine Besuche in Cleary mit dem Verschwinden der Frauen überein?«
    »Ja, Sir, das tun sie. Er mietet sich immer in einem Motel

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