Eisnattern: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
diensthabende Kollege klingt ein bisschen genervt, aber nur ein bisschen. Er möchte, im Gegensatz zu mir, gerne nach Hause gehen.
»Einer reicht auch«, sage ich. Ich hab ja immerhin die Mordkommission dabei. Ich brauche nur noch irgendwen Offizielles, irgendjemanden, der nicht gerade Urlaub hat. »Wir treffen uns in zehn Minuten an der Lerchenstraße«, sage ich.
»In Ordnung«, sagt der Kollege, und da nimmt der Inceman mir das Telefon weg und klappt es zu. Er greift nach meiner Hand und sieht mich an. Zwischen uns rieseln die Schneeflocken zu Boden.
»Hör auf«, sage ich. »Hör auf damit.«
Er lässt meine Hand los. »Gehen wir.«
*
Kriminalmeister Tschauner ist noch ein ganz junger Hüpfer. Das ist wunderbar, denn ihm ist es scheißegal, dass Weihnachten ist. Er ist heiß auf Ermittlungen und froh, rauszukommen. Er wollte unbedingt mit dem dunkelblauen Audi zum alten Hochbunker an der Feldstraße fahren. Ich halte das für ein bisschen übertrieben, ist ja nur zweimal ums Eck. Wir hätten locker zu Fuß gehen können. Aber bitte. Wenn’s ihm Freude macht. Ich kann gerade noch verhindern, dass er das Blaulicht aufs Dach setzt. Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Jungs nur deshalb zur Kripo gehen, für diese eine Bewegung: Arm aus dem Fenster, Lampe aufs Dach. Und dann ab dafür.
Er fährt mit Vollstoff am Bunker vor, der Audi rutscht ein bisschen auf dem gefrorenen Schnee, fast hätten wir einen parkenden Fiat gerammt.
»Bisschen unauffälliger, wenn’s geht«, sage ich.
»Is’ verdammt glatt hier«, sagt er, »da kann ich nun wirklich nichts für.«
Der Inceman räuspert sich. Was so viel heißt wie: Aufhören.
Wir steigen aus, Kriminalmeister Tschauner schießt aus der Hüfte mit dem elektronischen Autoschlüssel. Die Karre macht klack, und die Türen sind verschlossen, und das scheint ihm eine große Genugtuung zu verschaffen. Jungs und ihre Maschinen.
Der Inceman geht vor. Wir hinterher. Durch eine große Flügeltür aus rotgestrichenem Stahl und Sicherheitsglas. Bunker bleibt Bunker, da kann man einfach nichts dran drehen.
Wir stehen alle relativ ratlos im Erdgeschoss rum. Links ein Aufzug, rechts ein Aufzug, geradeaus ein verhalten glamouröser Gang mit ein paar eher leeren Schaufenstern an den Seiten.
»Rechter Aufzug«, sage ich, »ganz nach oben.«
»Und dann Etage für Etage durchs Treppenhaus runter«, sagt der Tschauner.
Der Inceman drückt den Knopf, die Aufzugtür geht auf. Wir gehen rein, fahren in den obersten Stock. Und sehen es erst, als wir wieder aussteigen. Der Inceman stellt sich in die Aufzugtür, damit sie offen bleibt. Der Tschauner und ich gehen in die Knie und sehen es uns genauer an. Eine winzige, getrocknete Spur auf der Aufzugschwelle. Da vergisst man schon mal zu wischen.
»Was meinen Sie, Tschauner?«
»Könnte durchaus Blut sein«, sagt er.
Ich stelle mich in die Aufzugtür und lasse den Inceman kucken.
»Ja«, sagt der Inceman, »könnte sein.«
Kriminalmeister Tschauner holt eine kleine Plastiktüte und ein Taschenmesser hervor. Er kratzt ein bisschen was von der Spur ab, verfrachtet es vorsichtig in die Tüte, klebt sie zu und lässt sie in der Jackentasche verschwinden. Das Taschenmesser wischt er an seiner Jeans ab. Wir lassen den Aufzug wieder fahren und machen uns durchs Treppenhaus auf den Weg nach unten.
So ein Bunker ist ja nicht gerade mein Lieblingsort. Da ist mir viel zu viel Beton um mich herum. Zu viel Beton, zu wenig Fenster, zu harter Zweck. Bunker werden in Kriegen gebaut, damit den Menschen die Bomben nicht direkt auf den Kopf fallen. Wenn sie Glück haben, kriegen sie einen Platz im Bunker. Wenn sie Pech haben, kriegen sie einen Platz auf dem Friedhof.
Ich kann nicht verstehen, wie die Leute es schaffen, hier drin zu arbeiten oder Konzerte zu geben oder sich Konzerte anzuhören. Mir ist es ein Rätsel, warum jemand überhaupt gerne in einen Bunker geht. Ich kriege in so einem Ding über kurz oder lang einen Zustand. Tod und Krieg im Kopf, und sonst nichts. Knüppeldicke Betonparanoia.
Ich schleiche hinter meinen Kollegen die Treppen runter und hoffe, dass sie nichts davon mitkriegen. Kriegen sie nicht, die sind nämlich auf der Jagd, das ist eindeutig. Ihre Schultern und Hände sind unter Spannung, ihre Augen zusammengekniffen. Wären die beiden Füchse oder Wölfe oder Tiger, sie hätten jetzt alle Nackenhaare aufgestellt.
Sie pirschen über die Treppen.
Auf jedem Stockwerk gehen große, schwere Glastüren zu den Seiten ab,
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