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Eisnattern: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)

Eisnattern: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)

Titel: Eisnattern: Ein Hamburg-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Buchholz
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Klingelschild steht von Heesen. Und obendrüber, das muss die Klingel fürs ausgebaute Dachgeschoss sein, da steht Snake Plissken. Ist mir gestern gar nicht aufgefallen, so schnell hatte Yannicks Mutter die Tür aufgerissen.
    »Wer ist Snake Plissken?«
    »Die Klapperschlange«, sagt der Inceman.
    Ach ja.
    »Worum geht’s da noch mal genau?«, frage ich.
    »Großstadtwestern mit Kurt Russell, Science-Fiction, frühe achtziger Jahre. Ganz Manhattan ist abgesperrt, gewalttätig und sich selbst überlassen. Und Snake Plissken ist der coolste Bad Guy von allen.«
    »Was du alles weißt.«
    »Ich vergesse nichts«, sagt er, und so wie er mich in diesem Augenblick ansieht, ist klar, dass er dabei nicht an die Klapperschlange denkt.
    Es ist kurz vor vier, es dämmert schon ordentlich. Das Haus der Familie von Heesen ist ein Hamburger Bildungsbürgertraum. Hellblau gestrichener Jugendstil direkt am geschichtsträchtigen Wohlers Park, weißer Stuck an der Fassade, das weitläufige Erdgeschoss, das Obergeschoss mit der kleinen Terrasse. Im Garten steht ein alter efeuumrankter Baum, der weiße Holzzaun gibt dem Grundstück etwas Skandinavisches. Ich schaue vorsichtig durchs Wohnzimmerfenster. Kann niemanden sehen, aber die Lichter sind an, die Kerzen am Weihnachtsbaum brennen, es ist wohl jemand da.
    »Und Snake Plissken ist also verschwunden«, sagt der Inceman.
    »Ja«, sage ich. »Snake Plissken und seine Cobrafreundin.«
    »Haben die Kollegen die Telefone der beiden schon geortet?«
    »Haben sie natürlich versucht«, sage ich, »aber da ist nichts zu machen. Die Telefone sind aus.«
    »Nicht gut«, sagt der Inceman.
    »Oder ganz besonders clever«, sage ich.
    »Oder einfach nur der Akku alle«, sagt der Inceman. »Sollen wir klingeln?« Er macht Anstalten, seinen Dienstausweis zu zücken.
    Ich schüttele den Kopf.
    »Ich war da gestern schon drin«, sage ich. Ich wollte mir das hier nur noch mal ankucken. »Kennst du dich mit Computerspielen aus?«
    »Geht so«, sagt er. »Mein Neffe hat eine Menge von dem Zeug zu Hause rumstehen. Was willst du denn wissen?«
    »Metal Gear Solid«, sage ich, »was ist das?«
    Er grinst und zeigt auf Yannicks Spezialklingelschild.
    »Der Typ hier«, sagt er, »Snake Plissken, der ist das Vorbild für die Hauptfigur aus Metal Gear Solid. Ich weiß aber nicht genau, worum’s da geht. Die Story ist wahrscheinlich anders als im Film. Hat unser Flüchtling das in seinem Zimmer stehen?«
    »Ja«, sage ich, »und er ist da offensichtlich ganz gut dabei. Sagt seine Mutter.«
    »Aha«, sagt der Inceman. »Ist jetzt nichts Besonderes. Das Ding ist Kulturgut unter Jungs. Ist auch nicht übermäßig brutal oder so, sonst dürfte mein Neffe so was nicht spielen, das weiß ich. Und der hat das natürlich.«
    »Also kein Ego Shooter?«, frage ich.
    »Kann man nicht so genau sagen. Das dürfte eher ein Stealth Shooter sein. Da ballert man nicht sinnlos alles weg. Da musst du viel durch die Gegend schleichen, clever sein und im entscheidenden Moment zuschlagen. Ist ein bisschen intelligenter als die ganz üblen Sachen. Aber natürlich senkt es wie alle Kampfspiele irgendwann die Hemmschwelle. Gehen wir was trinken?«
    Ich sehe ihn an und ziehe die Augenbrauen zusammen.
    Er hebt die Hände und sagt:
    »Okay. Warum frage ich dich das überhaupt noch.«
    Er dreht sich um und geht langsam Richtung Straße. Ich mache drei große Schritte und bin bei ihm.
    »Los, gehen wir was trinken«, sage ich.
    Ich sollte das nicht tun.
    »Du traust dich?«, fragt er.
    »Wenn du dich traust«, sage ich.
    »Wo gehen wir hin?«
    »Altona«, sage ich. Ich will Klatsche nicht begegnen. Ich fühle mich wie ein Betrüger, und das bin ich ja auch.
    »Dann komm mal mit«, sagt er und bietet mir seinen Arm. Ich tue so, als hätte ich’s nicht gesehen.
    Wir gehen am Wohlers Park entlang, dem verwunschenen ehemaligen Friedhof. Im Sommer blühen hier die Rhododendren und Rosen. Jetzt liegt der Park unter einer dicken Schneeschicht. In seiner Schönheit, mit seinen zu Alleen gepflanzten Bäumen und im Schein der alten Laternen sieht er aus wie ein Garten im London des 19. Jahrhunderts. Der Schnee auf dem Gehsteig knirscht unter unseren Schritten, und als würde der Himmel darauf bestehen, uns zu verzaubern, fängt es in diesem Moment wieder an zu schneien.
    »Warte mal«, sagt der Inceman und hält mich am Arm fest. »Hörst du das?«
    Ich bleibe stehen und lausche. Stimmen. Junge Stimmen. Sie werden lauter, streiten sich. Dann wieder

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