Eisnattern: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
Job, den er jemals hatte, hat er nach einem knappen Jahr wieder verloren. Er konnte sich nicht aufraffen hinzugehen, sich tagein, tagaus in dieses Lager zu stellen und Kisten zu wuchten. Das war ihm zu viel.
Die Wohnung im Schmidt-Rottluff-Weg bezahlt die Stadt. Frank Kober schläft auf dem Sofa in der Küche, da hat er seine Ruhe. Susann schläft mit ihrer Tochter im Schlafzimmer. Die kleinen Jungs schlafen im Wohnzimmer. Das passt schon, kucken ja eh nur fern. Was Patric in seinem Zimmer so macht, weiß keiner genau. Er schließt immer ab.
Sie müssten die Pizzakartons mal wieder wegbringen. Die Dosen auch.
Egal.
Katinka Ilicevic wurde in einem Dorf bei Zagreb geboren. Sie kam mit ihren Eltern nach Hamburg, als sie noch ein Baby war. Nach einem Jahr in Deutschland verließ ihr Vater Ivo Katinkas Mutter. Vesna dachte kurz darüber nach, mit ihrer Tochter zurück nach Kroatien zu gehen. Aber die Familie war vom Krieg in die ganze Welt geblasen worden. Vesna blieb also in der Zwei-Zimmer-Wohnung in der Thadenstraße, in der sie noch heute wohnt. Ihre Gedanken sind nie in Hamburg angekommen. Die klemmen in einem kroatischen Dorf. Katinka erzählt den Leuten manchmal, dass ihre Mutter tot ist. Oder einfach nur weg.
Weil es sich genau so anfühlt.
*
Dr. Gernot Jansens Hals-Nasen-Ohren-Praxis in Eppendorf läuft bestens. Die Großstädter haben alle Probleme mit den Atemwegen. Seine Frau Sybille hat ihren Beruf aufgegeben, als Leander geboren wurde. Keiner erinnert sich mehr daran, was sie eigentlich vorher gemacht hat. Leander erinnert sich auch nicht mehr daran, wie es war, als seine Mutter diese Tabletten noch nicht nehmen musste. Sie sagt, die Tabletten sind gegen ihre Migräne. Leander weiß, dass sie gegen ihn sind. Und dieses dauernde Gerede den ganzen Tag, dieses Gequatsche und Gesabbel und Geseier, das macht sie auch nur, damit sie ihn nicht hört. Damit sie gar nichts hört.
Die Eigentumswohnung am Winklers Platz, im Hochparterre eines efeubewachsenen Jugendstilhauses an der Ecke zur Otzenstraße, ist ein lichter Ort. Voller weißgestrichener Antiquitäten. Sybille Jansen ernährt sich ausschließlich von Rohkost und ihren Tabletten, und sie achtet immer darauf, dass frische Blumen auf den Fensterbänken stehen, am liebsten mag sie weiße Blumen. Die Wohnung ist so hell, dass man manchmal richtig geblendet ist.
Leander wird das Gefühl nicht los, dass er der einzige dunkle Fleck in der ganzen verdammten Bude ist.
*
Christiane und Arndt Westermann hatten das kleine Haus in der Bernstorffstraße schon lange im Auge gehabt, es war einfach perfekt. Mit dem Laden im Erdgeschoss, der Wohnung im ersten Stock und dem verwilderten Garten im Hinterhof. Vor sieben Jahren haben sie gekauft, ein halbes Jahr später, als alles saniert war, sind sie eingezogen. Der Laden für Tabak, Wein und Kaffee lief schon bald ziemlich gut, auch wenn er eher von Leuten aus dem Schanzenviertel frequentiert wird. Auf Sankt Pauli wächst die Klientel für edle Genussmittel erst langsam heran. Arndt Westermann wird nicht müde, das immer wieder allen zu erklären, auch denen, die es nicht hören wollen. Die Welt braucht Spitzenweine, ausgesuchte Kaffeebohnen und hervorragenden Tabak. Ohne kann man doch nicht vernünftig leben. Auch auf Sankt Pauli nicht.
Das Baby kam im letzten Frühling. Die Kleine war nicht geplant gewesen, die Westermanns hatten mit dem Kinderthema eigentlich abgeschlossen, freuten sich dann aber wahnsinnig.
Und, was noch? Wer? Benjamin? Ach, der.
*
Liliane und Caspar von Heesen haben sich irgendwie aus den Augen verloren, im Laufe der Jahre. Erst die Agentur aufgebaut, dann die Kinder, jetzt noch all die Schulden abzahlen, das schöne alte Haus in der Wohlers Allee frisst ja leider jeden Cent. Und dann hatten sie sich plötzlich nichts mehr zu sagen. Das war schrecklich. Liliane wollte nicht einfach mit ansehen, wie ihre Ehe dahinsiechte. Sie fing an, etwas dagegen zu unternehmen. Paartherapie am Montag, Einzeltherapien am Dienstag, Tangokurs am Mittwoch, Frauenabend und Männerabend am Donnerstag, Essen nur mit Caspar am Freitag. Und sie achtete sehr auf sich. Maniküre, Pediküre, Ayurveda-Massagen, Yoga, Friseur.
Die Kinder haben die beiden schönen Zimmer im Obergeschoss, mit der Terrasse.
Die Firma muss ja auch weiterlaufen.
Dass sich die Kinder in der Firma eine Prügelkammer eingerichtet haben, das kann Liliane einfach nicht glauben. Das kann nicht sein.
Das muss ihr erst einer
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