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Eisnattern: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)

Eisnattern: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)

Titel: Eisnattern: Ein Hamburg-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Buchholz
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Wer mitmachen und überleben wollte, musste einen Satz beherzigen: »Widersprich nie einem Albaner.«
    Unser spezieller Albaner nutzte das schreckliche Fahrwasser. Er kaufte weiter Immobilien, wenn man erst mal eine hat, hat man ja zackig das Geld für die nächste. Und er profitierte von der Angst, die die Herren aus Pristina verbreiteten. Er hielt sich schön dezent im Hintergrund. Er ließ machen. Aber keiner kam an ihm vorbei. Denn weil die Läden und Straßenzüge, um die sich blutige Kämpfe geliefert wurden, ihm ja meistens schon längst gehörten, musste er am Ende wegen allem gefragt werden. Er bestimmte, was lief. Wer lief. Wer gehen musste. Wer was durfte. Wer lieber abhauen sollte. Die Ermittler sind sicher, dass es in jener Zeit keinen einzigen Milieumord gab, der nicht von ihm abgesegnet war.
    Und während die anderen sich gegenseitig die Köpfe einschlugen, steckte er ganz in Ruhe die dicke Kohle ein und saß warm und trocken in seiner Villa in den Elbvororten. Wurde fix ein Teil der Hamburger B-Society. Wenn er Partys in den überdrehten Hotels an der Alster schmiss, kamen die üblichen Fernsehgesichter, Promiboxer und Möchtegerns gerannt. Und auch Senatsmitglieder. Das war schon verrückt. Alle wussten, dass dem Mann nicht nur ein paar Immobilien und die großen Stripläden auf der Meile gehören. Allen war klar, dass er weit mehr kontrollierte. Niemand glaubte daran, dass die Weste unter den hellen Anzügen tatsächlich weiß sein könnte. Und trotzdem schämten sie sich nicht, dabei zu sein. Natürlich, er hatte sich die schlanken Hände nie schmutzig gemacht. Ihm war nichts nachzuweisen.
    Einer meiner Vorgänger bei der Staatsanwaltschaft hat’s mal ernsthaft versucht. Wegen Steuerhinterziehung. Das, womit man’s immer versucht, wenn man sonst nichts in der Hand hat. Herausgekommen ist ein Bild in der strahlenden Aprilsonne, das damals durch die Presse ging: der Albaner im hellen Anzug, mit seinen Kindern und seiner schönen Frau im Arm, gütig lächelnd, in Freude über seinen Freispruch.
    Seht alle her, der Mann ist unschuldig.
    Das war das letzte Mal, dass einer von uns nah dran war, dem Albaner was anhaben zu können. Der Kollege hatte ihn ja immerhin vor Gericht gezerrt. Seitdem hat es niemand mehr geschafft, ihm auch nur irgendetwas nachzuweisen.
    Den Faller hat das immer irre gemacht. Weil die Macht des Albaners überall auf dem Kiez zu spüren war. Sie war in der Luft greifbar, sie schwebte in der Atmosphäre. Wenn sein Name fiel, erstarrten die Sanktpaulianer. Und die kleinen Gangster gingen in Deckung. So was mag der Faller gar nicht. Wenn alle vor einem buckeln. So war das früher auch nie gewesen, rund um die Reeperbahn. Und als die Rockerbanden Schleswig-Holstein und Niedersachsen aufgerollt hatten und dachten, jetzt ist aber mal Sankt Pauli dran, änderte sich das auch wieder. Denn die Jungs mit den dicken Kutten konnten den kosovarischen Gangstern in Sachen Brutalität und Organisation tatsächlich das Wasser reichen. Und sie waren viele. Die Strukturen bröckelten, der Albaner schwächelte. Da dachte der Faller, dass man dem vielleicht doch mal wieder zu Leibe rücken könnte, und zwar auf ganz andere Art: mit einer Revolte. Der Faller kannte damals ja alle und jeden auf dem Kiez, hatte einen guten Draht zu sehr vielen Leuten, und er hetzte sie systematisch gegen den Albaner auf. Er setzte tiefe Stachel in die Ganovenherzen. Er berichtete von Dingen, die noch viel bösartiger und gemeiner waren als das, was vom Albaner bisher bekannt war. Der Faller nahm es dabei mit der Wahrheit nicht so genau, aber das ist auf dem Kiez auch nicht so wichtig. Das Milieu generiert immer seine eigene Wirklichkeit, die sich aus Tatsachen, Träumen und Legenden zusammensetzt. Der Faller wollte sich das zunutze machen, verbreitete die schlimmsten Horrorgeschichten, und je ruhiger der Albaner auf dem Kiez wurde, desto mehr glaubten die Leute dem Faller. Sie witterten die Chance, sich zu befreien. Und eine Weile sah es auch danach aus, als könnte der Trick vom Faller aufgehen. Denn es waren neue Kämpfe entbrannt, die Rockerbanden wollten sich etablieren und keinen Zweifel an sich aufkommen lassen. Das lief alles eher unter der Hand, keine offensichtlichen Schießereien oder sonstiger Gewaltkram, nur interne Machtkabbeleien. Nichts also, was Touristen abschrecken könnte. Aber der Albaner mag so was nicht. Er will nicht kämpfen, er will Geld verdienen. Er zog sich tatsächlich immer mehr aus den

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