Eisnattern: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
beweisen.
Fingerabdrücke? Von den Jugendlichen in der Kammer? Blut in ihrem Transportrad?
Also, nein. Papperlapapp. Da versucht jemand, den Kindern was anzuhängen.
Es gibt so viele schlimme Leute.
Wenn nur Larissa nicht immer derartig nervös wäre. Aber das ist wirklich das Einzige.
*
Ich hab nicht geschlafen. Lag vielleicht am Wodka. Macht erst ruhig, dann nervös. Da muss man sich ja nur mal die Russen ankucken, die morgens immer durch unser Viertel marodieren, bevor sie irgendwann gegen Mittag in die S-Bahn nach Allermöhe steigen. Die sind immer total aufgekratzt. Manche behaupten ja auch, Wodka sei nicht viel mehr als Koks für Arme. Ich sehe das anders, Wodka ist im Grunde der einzige akzeptable Alkohol, aber egal. Ich hab nicht geschlafen. Vielleicht sollte ich irgendwann mal aufhören mit der Trinkerei. Erst mal werde ich heute meine Wohnung ausräuchern. Kann nicht schaden. Es ist acht Uhr, der türkische Gemüsehändler am Eck müsste gerade aufgemacht haben. Ich bin auf dem Weg, als erst der Schnee knirscht und dann der dunkelblaue Alfa Romeo vom Calabretta neben mir hält. Er lässt das Fenster runter.
»Steigen Sie ein, Chef.«
»Wo wollen Sie hin?«, frage ich.
»Talstraße«, sagt er. Seine olivfarbene Haut hat einen kalkigen Ton angenommen. Als wäre er über Nacht versteinert worden. »Steigen Sie schon ein, ich brauche Sie.«
Ich steige ein, mache die Tür zu und sehe ihn von der Seite an, wie er an der Ecke zur Paul-Roosen-Straße das Blaulicht und die Sirene anmacht, wie er an der Talstraße in die Einbahnstraße einbiegt und sie hochfährt. Wie er über die Simon-von-Utrecht-Straße brettert, ohne zu kucken. Seine Kiefer sind gespannt wie die Flitzebögen.
»Der hätte uns jetzt aber fast erwischt«, sage ich und schaue einem roten Ford Transit nach, der locker achtzig Sachen fährt.
Der Calabretta hält an. Vor uns zwei Streifenwagen und ein paar Kollegen in dunkelblauer Hundertschaft-Uniform. Auflauf.
»Okay«, sage ich, »was ist passiert?«
Und ich ahne es schon.
»Wahrscheinlich hängt da oben auf dem Dachboden unser V-Mann«, sagt der Calabretta. Er reibt sich mit Daumen und Zeigefinger die Augen und holt tief Luft.
»Ein paar von den Kollegen, die für Sie und den Inceman die Stadt durchsuchen, haben ihn gefunden«, sagt er. »Der Inceman hat vor einer halben Stunde den Anruf gekriegt und uns informiert.«
Hinter uns halten zwei weitere Autos. Ein schwarzer Mercedes, der Dienstwagen vom Inceman. Und der alte weiße Saab vom Brückner. Alle Mann steigen aus, der Brückner hat den Schulle dabei. Mir wird ein bisschen schlecht im Herzen, als ich den Inceman im Rückspiegel sehe. Und dann noch dieser Dachboden, der uns gleich droht. Puh ha.
»Na dann«, sage ich und lege dem Calabretta die Hand auf die Schulter. »Dann wollen wir mal.«
Er nickt.
»Dann wollen wir mal.«
Die Kollegen gehen vor, der Calabretta und ich hinterher, keiner sagt was, die uniformierten Polizisten nicken nur, als sie uns sehen. Es ist ein Haus wie so viele Häuser hier im südlichen Teil der Talstraße: wuchtiger, vielgeschossiger, grauer Jugendstil, der sehr schön sein könnte, aber allein dadurch, dass das hier die Talstraße ist, bedrohlich wirkt. Die Talstraße ist ein schwieriger Ort. Die Talstraße lässt die Menschen nie einfach durch. Die Talstraße stellt sich ihnen entgegen. Eigentlich sind Straßen mit vielen Schwulenbars immer freundlich und bunt. Die Talstraße ist es nicht.
Wir arbeiten uns durchs Treppenhaus nach oben. Ab und zu kommt uns ein Beamter aus der Hundertschaft entgegen. Sonst ist hier niemand. Das Haus steht leer, das Treppenhaus ist ein Taubenschlag. Wird bestimmt demnächst saniert, das Ding. Und in einer strahlenden Farbe gestrichen. Vielleicht in einem hellen Gelb, wie das Haus nebenan. Wird nicht helfen. Nicht dem Haus und nicht der Straße.
Wir steigen Stockwerk um Stockwerk die Treppen hoch, und je höher wir kommen, desto steiler wird die Treppe. Die Stahltür zum Dachboden ist aus den Angeln gehoben. Dahinter ein Gang, links und rechts gehen kleine Verschläge ab, notdürftig mit Holztüren verrammelt. Überall liegt Sperrmüll. Matratzen, Autoreifen, Fahrradleichen, zusammengebrochene Regale. Auf dem großen Trockenboden steht ein Schaukelpferd. Rechts daneben, an der Mitte der Deckenbalken aufgeknüpft, hängt ein Mann.
Der Calabretta schließt die Augen und drückt sich mit Daumen und Zeigefinger auf den Nasenrücken. Der Brückner presst die Lippen
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