Eisprinzessin
Und was hat er dazu gesagt, dass du seine Tabletten hast mitgehen lassen?« Meißner konnte nicht glauben, was er da hörte.
»Nichts. Ich hab sie ihm in den Briefkasten geworfen.«
»Und was hat das zu bedeuten? Warum machst du so was?«
»Ich hab schon die Hausärztin, diese Dr. Koller, angerufen«, sagte Brunner. »Sie sagt, die Frau Helmer hat die Tabletten nicht genommen, oder zumindest hat sie ihr die nicht verschrieben. Die Frau ist ihrer Meinung nach kerngesund. Keine Depression oder sonst eine psychische Erkrankung.«
»Und das sagt sie dir einfach so am Telefon?« Marlu schnäuzte sich.
»Das macht wahrscheinlich mein Charme«, grinste Brunner.
»Und was schließt du jetzt daraus?«
»Dass die Tabletten von ihm sind, natürlich. Waren ja auch in seiner Jackentasche. Wahrscheinlich ist er es, der ein bisschen …«, Brunner malte mit einem Finger Kreise in die Luft, »na, ein bisschen gaga ist.«
»Und das interessiert uns?«, wollte Meißner wissen.
»Mich schon«, antwortete Brunner.
»In der Sprachenschule warst du ja auch, ohne uns Bescheid zu sagen. Hast du da vielleicht auch die Manteltaschen der Praktikantin durchsucht?«
Brunner winkte ab. »Natürlich nicht. Sie hat gesagt, sie ist gut eingearbeitet und wird die Aufgaben von Charlotte Helmer mit übernehmen, solange sie fort ist. Und dass die Helmer ein bisschen zerstreut gewirkt hat am Freitag, als sie sie das letzte Mal gesehen hat. Dass sie ihr noch gezeigt hat, wie die Abrechnung für die Lehrkräfte gemacht wird, und dass die Frau Helmer sehr nett zu ihr gewesen ist und sie am Nachmittag noch auf einen Kaffee eingeladen hat.«
»Und wieso tauchst du überall dort auf, wo wir schon waren oder noch hingehen wollten? Gibt’s dafür vielleicht einen speziellen Grund?«, fragte Meißner.
»Ich war halt neugierig«, sagte Brunner, als wäre es das Normalste der Welt. »Ich finde jedenfalls, die Sache stinkt zum Himmel. Beziehungsweise nicht die Sache, sondern dieser Eberl. Der gefällt mir nicht, aber das hab ich dir ja gestern schon gesagt. Und jetzt auch noch die Tabletten. Der hat doch irgendeine Macke.«
»Und?«, fragte Meißner.
»Kannst du dich an den Fall von vor einigen Jahren erinnern, wo ein Mann mit zwei kleinen Kindern, Zwillingen, seine Frau vermisst gemeldet hat?«, wollte Brunner wissen.
Marlu stippte ihre Kekse in den Kaffee.
»Der verlassene Vater hat sich rührend um die Zwillinge gekümmert. Hat sich als Alleinerzieher geradezu aufgeopfert. Und die böse Frau ist einfach so weg, abgehauen, und hat die Kinder und den Mann im Stich gelassen. Halb Deutschland hat mit dem mitgelitten. Die ›Bildzeitung‹, ›Bunte‹, ›Gala‹, alle haben die Bilder mit ihm und den Zwillingen abgedruckt.«
»Und dann?«, fragte Marlu, während sie sich die Hände an der Tasse wärmte.
»Und dann hat man nach einigen Tagen die Frau in einem Keller gefunden, tot. Ich weiß nicht mehr, ob er sie erwürgt, erstickt oder erstochen hat. Jedenfalls hatten sie Streit gehabt. Sie wollte sich von ihm trennen, da hat er sie umgebracht und dann vermisst gemeldet.«
»Und so was traust du auch dem Eberl zu?«, fragte Meißner.
Brunner zuckte mit den Achseln. »Weiß man’s?«
»Sauber«, sagte Marlu. »Könnte ich jetzt vielleicht ein Schokocroissant haben und eine zweite Tasse Kaffee?«
Am späteren Vormittag dann ein Anruf von Czerny. Er klang nicht sehr freundlich. Das halbe Schokocroissant, das Meißner trotz des Spenders gegessen hatte, lag ihm noch immer fettig und schwer im Magen, als er sich auf den Weg zum Boss machte.
Czerny wusch ihm ohne Vorwarnung den Kopf. Was er seit Neuestem für Methoden bei unbescholtenen Bürgern anwende, gegen die keinerlei Verdacht auf eine Straftat vorliege? So kenne er ihn ja noch gar nicht. Und ob Meißner wissen wolle, wie er, Czerny, das eigentlich fände, dass seine Leute Dinge aus fremden Taschen nahmen, die später in deren Briefkasten wieder auftauchten?
Nein, Meißner wollte es lieber nicht wissen.
Der Mann, der bei ihm angerufen hatte, sei außer sich vor Sorge um seine Frau gewesen. Wie lang sie denn schon verschwunden sei?
»Achtundvierzig Stunden«, sagte Meißner. »Und wir haben keinerlei Anhaltspunkte.«
Meißner gab die Verwarnung direkt an den Kollegen Brunner weiter. Dazu die Mahnung, dass ab jetzt jeder Schritt abzusprechen sei. Meißner selbst würde heute mit Kollegin Rosner zu Familie Helmer fahren und mit Vater und Bruder der Vermissten reden. Für einen INPOL -Eintrag
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