Eisprinzessin
nicht hier.«
»Ah ja. Dann muss es ja was Ernstes sein, wenn du so schnell damit rausrückst und nicht lange herumdruckst.«
Kirsti nippte an dem Glas Cola, das sie sich mitgebracht hatte. »Gibt’s Neuigkeiten von deiner Ex?«
Bingo. Konnte sie jetzt schon in ihn hineinschauen? Er wollte sich auch gar nicht lange zieren. Es war schon spät, sie waren beide müde, gleich würde wieder ein Gast zahlen wollen, und anschließend müsste sie aufräumen, die letzten Gläser spülen, den Tresen abwischen, die Tageskarten einsammeln und was sonst noch alles nötig war am Ende eines Kaffeehaustages.
Ein befreundeter Psychotherapeut hatte Meißner mal erzählt, dass es Patienten gibt, die kommen, sich auf die Couch legen und vierzig Minuten lang hartnäckig schweigen. Erst kurz vor Ende ihrer Stunde fangen sie endlich an, von ihrem Problem zu sprechen. Natürlich reicht die verbliebene Zeit dann nicht mehr aus, und wenn der Therapeut das Ende der Stunde ankündigt, sind sie maßlos enttäuscht. Nicht von sich selbst, sondern von ihm, der so grausam ist, nun die Stunde zu beenden, obwohl sie doch noch so viel zu erzählen hätten. Manche kommen gar nicht wieder, sondern brechen die Therapie ab wegen Unfähigkeit des Therapeuten, dem es einfach nicht gelungen ist, sie zum Sprechen zu bringen. Meißner hatte vergessen, wie der Bekannte ihm dieses Verhalten erklärt hatte, aber die Situation konnte er sich sehr gut vorstellen.
Kirsti hatte ihn beobachtet, und wieder war es, als könnte sie seine Gedanken lesen. »Du bist also nicht der Vater von dem Kleinen«, sagte sie.
»Nein, lang hat meine Vaterschaft nicht gedauert. Oder andersherum: Ich hab nicht sehr lange ein Kind gehabt«, sagte Meißner.
»So ein Schmarrn! Du warst bei seiner Geburt dabei, diese Nähe kann eigentlich gar nicht mehr kaputtgehen, wenn du dir ein bisschen Mühe gibst. Auch wenn du nicht der Vater bist. Und?« Sie sah ihm in die Augen. »Weiß sie’s schon?«
»Wer?«, fragte er.
»Na, die andere. Die, mit der du grad zusammen bist.«
Langsam wurde ihm Kirsti wirklich unheimlich. Woher wusste sie das alles? Er hatte ihr doch gar nichts erzählt. Aber lügen war jetzt irgendwie auch keine Alternative mehr.
»Nein, sie weiß es nicht«, sagte er und fühlte sich wie ein Verbrecher. »Aber wenigstens weißt du es jetzt.«
»Muss ganz schön wehtun«, sagte Kirsti. Sie schüttelte eine Zigarette aus der Packung, die sie unter ihrer Schürze hervorgezogen hatte, und zündete sie an der Kerze am Tisch an.
»Um die Uhrzeit ist das schon okay«, sagte sie und zog so gierig an der Zigarette, als wäre es ihre letzte. Dann legte sie ihre Hand auf seine. Sie saßen da wie ein altes Ehepaar, das schon vieles zusammen durchgestanden hat.
»Willst du mir nur das Sakko verkokeln oder doch gleich das ganze Gesicht?«, beendete Meißner die intime Situation und wedelte mit der Hand den Rauch von sich fort.
»Kommst noch mit zu mir?«, fragte Kirsti und drückte die Zigarette in einem Behelfsaschenbecher aus, der kurz zuvor noch Meißners Cappuccinotasse gewesen war.
»Wohnst du immer noch in dem Kaff?«, fragte er.
Sie nickte.
»Wie du es dort nur aushältst.«
»Tu ich ja eh nicht«, antwortete sie. »Zumindest nicht allein.«
»Du kennst mich doch«, sagte er. »Ich bin vielleicht das letzte Exemplar des treuen Mannes.«
»Ach wo!«, sagte Kirsti. »Solche wie dich gibt’s zu Tausenden, das ist ja grad das Schlimme.«
»Serielle Monogamie nennt man so was«, sagte Meißner.
»Ist mir egal, wie man das nennt. Ich nenn’s einfach Pech.«
Er strich ihr eine einzelne Haarsträhne aus dem Gesicht und küsste sie auf den Mund. Ihre Lippen waren weich und fest zugleich, und ihre Zunge glitt schnell in seinen Mund. Er schob sie sanft von sich weg.
»Ich mag kein Odol«, sagte er, »aber kalten Rauch mag ich noch weniger.«
»Du kommst auch nicht mit zu mir, selbst wenn ich auf der Stelle mit dem Rauchen aufhöre, stimmt’s? Du bist echt ein treuer Dackel. Also muss ich warten, bis es mit der anderen wieder vorbei ist. Und dann wird es dir total egal sein, ob ich rauche oder nicht, glaub’s mir.«
Während Kirsti aufstand und an der Kasse die Rechnung für den Geburtstagstisch fertig machte, zog Meißner einen Fünfer aus der Tasche, legte ihn unter die Zigarettenpackung und schlich sich davon. Es war ja alles gesagt.
Als er draußen an der kalten Luft den Reißverschluss seiner Jacke zuzog und dabei in die Taschen griff und das Handy
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