Eisprinzessin
würde sich ja auch nicht hier draußen, sondern im Kühlhaus abspielen. Alle erreichbaren Angestellten waren vor Ort. Sie trugen bereits ihre kälteisolierende Arbeitskleidung, Mützen und Handschuhe. Die überzählige Schutzkleidung wurde an die Leiharbeiter von der Polizei verteilt. Als sie vor den sieben, acht Meter hohen Regalwänden standen, ahnten sie, dass diese Aktion richtig viel Arbeit bedeutete.
»Wie lang am Stück hält man die Kälte aus?«, wollte einer der Polizisten vom Vorarbeiter wissen, der gerade wattierte Stiefel verteilte.
»Nach einer Stunde sollte man eine Pause machen und sich aufwärmen.«
»Wird man nicht krank, wenn man so häufig zwischen Kälte und Wärme wechselt?«
»Im Gegenteil. Der Temperaturunterschied ist fast so gesund wie Wechselduschen. Wir Kühlarbeiter haben im Vergleich zu anderen Branchen sehr wenige Krankheitstage. Mia san pumperlg’sund«, versicherte er.
Trotz der positiven gesundheitlichen Wirkung war den Polizisten anzusehen, dass sie langfristig nicht mit den Arbeitern im Kühlhaus tauschen wollten.
* * *
»Steig ein«, sagte Marlu. »Deinen Wagen holen wir später. Oder morgen.«
»Sag mal, glaubst du das wirklich, was Brunner da erzählt?« Meißner warf seinen Rucksack auf die Rückbank und ließ sich selbst auf den Beifahrersitz fallen. »Dass Eberl ihm den Mord gestanden hat, als er mit ihm allein bei sich zu Hause war? Nach zwei Schlägereien und einer Nacht, die er sich irgendwo um die Ohren gehauen hat? Und wo außerdem Tabletten und Alkohol mit im Spiel waren?«
»Was soll denn das jetzt wieder heißen?«, fragte Marlu. »Meinst du etwa, Axel denkt sich das alles nur aus, weil er scharf drauf ist, dieses Kühlhaus auseinanderzunehmen?«
»Irgendwie schon, wenn ich ehrlich bin.«
»Du spinnst doch. Aber wenn er die Leiche dort findet, hat er den Fall gelöst.«
»Und wenn nicht?«
»Dann ermitteln wir eben weiter.«
»Ermittlungen? Was hat er denn schon groß ermittelt, der Herr Schäferhund?«
»Jetzt mach aber mal halblang, Stefan. Immerhin hat Axel die Briefe von Charlotte Helmer in Eberls Keller gefunden.«
»Wo sind die eigentlich? Die würd ich mir gern mal anschauen.«
»Ich nehme an, irgendwo bei uns im Präsidium. Axel wird sie wohl kaum bei sich zu Hause aufbewahren. Jedenfalls hat er Eberl mit ihnen konfrontiert und ihn damit unter Druck gesetzt.«
»Und? Was hat er denn schon rausgefunden? Weiß er vielleicht, wer der Absender ist? Nein. Oder ob Eberl von dem Verhältnis gewusst hat?«
»Er meint, ja. Zugegeben hat er es aber nicht.«
»Siehst du. Wieder nichts. Alles nur Spekulationen. Keine Fakten. Und warum soll er sich mit seinem Schwager geprügelt haben?«
»Eberl hat gesagt, er hat dort auf dem Gelände seine Frau gesucht.«
»Und Brunner weiß natürlich genau, wie es gewesen ist. Er redet dem armen Kerl ein, dass er selbst es war, der sie dorthin geschafft hat. Er nutzt die Verfassung von Eberl aus, der hochgradig erregt und mit Drogen vollgestopft ist und aus dem letzten Loch pfeift.«
»Du unterstellst Axel, dass er Eberl das Geständnis in den Mund gelegt hat? Meinst du das im Ernst? Glaubst du, dass er ein so schlechter Polizist ist, oder spielen hier ganz andere Motive eine Rolle? Sagen wir mal, eher private?«
Meißner ging nicht darauf ein. »Hier geht’s nicht um schlechte Polizisten, sondern um ein mögliches Amtsdelikt. Muss ich dir das noch genauer erklären?«
Marlu kniff die Augen zusammen. In ihr brodelte es. »Du unterstellst Axel also Aussageerpressung?« Sie schlug mit der flachen Hand aufs Lenkrad. »Nachdem du zwei Tage da draußen im Wald gehockt bist, vor dich hin gebrütet und nichts mitgekriegt hast von dem, was Axel da ganz allein durchgezogen hat?«
»Du hättest ihm ja zur Hand gehen können.«
»Zur Hand gehen?« Sie lachte höhnisch auf. »Das hätte jetzt meine Oma sagen können. Die hat übrigens gestern ihren Achtzigsten gefeiert, und stell dir vor, ich war auch auf ihrer Feier. Und heute ist Sonntag, falls du das vergessen hast.«
Schon wieder einer dieser Wutanfälle, die er, wenn sie sich in seiner unmittelbaren Umgebung abspielten und er selbst dafür mitverantwortlich war, besonders schlecht ertragen konnte.
»Schon gut«, murmelte er. »Confessio est regina probationum.«
»Regina?«, kreischte Marlu. »Was soll denn das jetzt wieder heißen?«
»Ach, Marlu, du hast doch auch Latein gelernt.«
»Nein!«, brüllte sie. »Hab ich nicht. Sondern Spanisch!«
»Ach so?
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