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Eisprinzessin

Eisprinzessin

Titel: Eisprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Graf-Riemann
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aus. Auf jeden Fall deutlich länger als acht Tage, die eure Vermisste abgängig ist.«
    »Postmortales Intervall?«, fragte Brunner schwerfällig.
    »Die Zeit zwischen Tod und Auffinden der Leiche«, klärte Kern ihn auf.
    »Und warum kann man das nicht auf Deutsch sagen?«
    »Kann man schon, aber dann dauert’s länger.«
    »Gut. Alles Weitere besprechen wir dann unter uns«, beendete Meißner den kleinen Dialog.
    Eberl hatte verstanden, dass Meißner ihn damit hinausschickte, und setzte sich wie über eine Fernsteuerung dirigiert in Bewegung. Jemand musste ihn begleiten, und dieser Jemand würde wohl Brunner sein, da Meißner keine Anstalten machte, sich von der Stelle zu bewegen. Brunner lief rot an, aber es blieb ihm nichts anderes übrig, als mit hinauszugehen.
    »Diese Frau war zum Zeitpunkt ihres Todes gut zehn Jahre älter als die Vermisste«, sagte Kern, als er mit Meißner allein war. »Falten wie diese«, er deutete mit einem Kugelschreiber auf Mund- und Augenwinkel der Toten, »hat man nicht als junges Gemüse mit Mitte zwanzig und bekommt sie auch nicht vom Einfrieren und Auftauen. Und wenn ihr den Altersunterschied schon nicht bemerkt habt, weil die Frau in der Kiste wie ein Schmetterling zusammengefaltet war, dann hätte euch doch ihre Kleidung stutzig machen müssen. Ich will ja nicht behaupten, dass ich ein Modepapst bin, aber beige Bundfaltenhose, eine übergroße Jacke mit Pelzfutter und dann diese braune Knitterbluse, das alles sieht mir doch eher nach einer anderen Zeit aus.«
    »Das alles haben wir in der Box nicht sehen können. Aber jetzt, wo du’s sagst.« Meißner dachte an die Pizzapackungen im letzten Regal. Auch die sahen nicht mehr ganz taufrisch aus.
    »Kannst du sagen, woran sie gestorben ist?«
    Kern zog sich Handschuhe an, trat an das Kopfende der Bahre und drehte den Kopf der Leiche auf die Seite. Am Hinterkopf klaffte eine handtellergroße offene Wunde, in der Haare klebten. Sogar mit bloßem Auge waren gelbe und orangefarbene Lack- und Rostplättchen zu erkennen. Die Wunde sah ganz frisch aus.
    »Das Konservieren durch Einfrieren ist schon eine tolle Sache, gell? Wobei das auch nichts Neues ist. Denk nur an den Permafrost in Sibirien. Dort apern immer wieder Mammuts und Wollnashörner aus. Vor Kurzem haben sie eine trächtige Mammutkuh gefunden. Bestimmt macht bald jemand einen Film draus, wie es irgendeinem wahnsinnigen Wissenschaftler gelingt, das Ungeborene wieder zum Leben zu erwecken. Oder denk nur an den Ötzi. Fünftausend Jahre nach seinem Tod haben Mediziner herausgefunden, dass er an der Pfeilspitze in seiner Schulter gestorben ist. Und durch eine Pollenanalyse seines Mageninhalts wissen wir, dass sein Tod ihn im Frühling ereilt hat. Sein gesamtes Erbgut ist entschlüsselt. Das ist doch fantastisch, oder etwa nicht?«
    »Da wärst du auch gern bei den Untersuchungen in Innsbruck dabei gewesen, stimmt’s?«
    »Mei, man kann nicht alles haben im Leben. Ich war ja schon froh, dass irgendwer verhindert hat, dass die Gendarmen den Ötzi in einem Massengrab verscharrt haben, wie’s bei einem unbekannten Toten üblich ist, wenn die mögliche Straftat bereits verjährt ist. Polizisten!«
    Meißner betrachtete immer noch die Wunde am Hinterkopf.
    »Dein Kollege ist schon ein kleiner Rambo, gell?«, sagte Kern. »Dass das nicht die Leiche ist, die zu seinem Geständnis passt, hat ihn ganz schön aus der Bahn geworfen.«
    »Und was ist mit der Wunde? Sturz oder Schlag? Und womit?«
    »Irgendein Metallteil, vorn spitz, aber nicht scharf zulaufend. Die genaue Form muss ich erst noch feststellen, auch die Farbpartikel in der Wunde müssen wir erst noch untersuchen. Dann wissen wir mehr. Blöde Stelle, da hinten am dens axis .«
    »Dieselbe, wo dem Matthias Steiner in London bei der Olympiade die Hundertsechsundneunzig-Kilo-Hantel draufgekracht ist?«
    »Genau. Der hat ein richtiges Massel g’habt, der Mann. Unsere Leiche leider nicht.«
    »Genickbruch?«
    »Schaut so aus.«
    »Kann man den überleben?«
    »Wenn sich der Knochen ins Knochenmark bohrt und die Nervenverbindung zum Gehirn trennt, dann nicht. Dann geht’s ganz schnell. Hast du denn keine Idee, wer die Tote sein könnte, wenn sie nicht die Vermisste ist?«
    »Doch, eine Idee hab ich schon, aber die ist so verrückt, dass ich erst noch ein paar Fakten brauche, bevor ich damit hausieren gehen kann.«
    »Du, Meißner?«
    »Was denn?«
    »Kannst du mir vielleicht einen Gefallen tun?« Kern streifte die Handschuhe

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