Eisprinzessin
Charlottes Rad geflickt und bin abgerutscht, hab mich verletzt. Er hat geschrien, das Blut sei von ihr. Dann hat er mir die Briefe gezeigt, aber ich war so müde. Die ganze Nacht hatte ich nicht geschlafen. Das mit den Briefen hab ich nicht verstanden, aber dass er meinen ganzen Keller durchsucht hat, das hab ich kapiert. Da bin ich durchgedreht. Hab geschrien, dass ich es war. Aber nur, damit er endlich aufhört zu reden, damit er weggeht und ich schlafen kann.«
»Und? Ist er gegangen?«
Eberl nickte. »Die Briefe hat er mir dagelassen.«
»Sie haben sie gelesen?«
»Ja, das habe ich.«
»Was haben Sie dabei gedacht?«
»Dass der Mann nicht einmal richtig schreiben kann, wo Charlotte sich doch immer so über mich lustig gemacht hat, wenn ich mal etwas falsch gesagt oder geschrieben habe. Ich hab gedacht, bei dem anderen ist ihr das alles egal.«
Die rote Kontrolllampe des Diktiergeräts leuchtete noch. Meißner hatte alles aufgenommen.
»Ihre Aussage, Herr Eberl? Sie wollten doch eine Aussage machen.«
»Genau, meine Aussage. Also, ich war’s nicht. Ich habe Charlotte nicht umgebracht.«
Meißner schaltete das Gerät ab und packte seine Sachen zum Gehen.
»Ich darf nicht nach Hause?«, fragte Eberl.
»Das habe nicht ich zu entscheiden, sondern der Richter.« Der Beamte würde Eberl zurück in seine Zelle bringen. »Sie haben ein Geständnis abgelegt, das Sie jetzt widerrufen. Aber Charlotte ist immer noch verschwunden.«
Beim Verlassen der JVA hörte Meißner eine Nachricht von Marlu ab. Brunner war mit dem Georgier eingetroffen.
»Ich will bei der Vernehmung dabei sein«, sagte er zu ihr, als er sie zurückrief. »Der Mann soll sich jetzt erst einmal ausruhen. Bringt ihm etwas zu trinken, fragt ihn, ob er Hunger hat, aber fangt mit der Vernehmung nicht an, bevor ich da bin.«
» Aye, aye, Sir , und wann kommst du?«
»So schnell ich kann.«
Schneller wäre es bestimmt ohne die Ottheinrichtorte und den kleinen Cappuccino gegangen, den sich Meißner, einer alten Gewohnheit folgend, im Café in der Oberen Stadt noch leistete. Aber dann hätte er sich bestimmt ewig geärgert, und das wäre auch nicht gesund gewesen.
Waleri Senaia war ein freundlicher Herr Ende fünfzig. Im Vergleich zu der Polaroidaufnahme von vor siebzehn Jahren war er in Würde ergraut und hatte sich zwischen Brust und Hüfte einen ausreichenden Vorrat für den kalten deutschen Winter angefuttert. Er sprach nicht viel besser Deutsch, als seine Briefe von damals hatten durchblicken lassen, schien sich aber nichts daraus zu machen. Bedächtig ließ er einen Löffel Zucker in den Tee rieseln, den man ihm gebracht hatte, rührte um und lächelte allen dabei freundlich zu. Ganz so, als sei er von alten Freunden nach Hause eingeladen worden und registriere nun mit Erstaunen, was sich alles verändert hatte und wie groß die Kinder inzwischen geworden waren. Brunner hatte ihm nicht viel mehr gesagt, als dass er in einer Strafsache als Zeuge vernommen werden sollte. Ohne viele Fragen war Senaia Brunner gefolgt und hatte sich von seiner Familie verabschiedet. Dann hatte er noch seine Bratsche eingepackt, denn ohne sie, so sagte er, fuhr er nie weg. Vielleicht freute er sich ja auch tatsächlich, wieder nach Ingolstadt zu kommen, wo er zwölf Jahre seines Lebens verbracht und in einem Orchester mit georgischen Landsleuten gespielt hatte. Ob es gute oder schlechte Erinnerungen waren, die Senaia mit Ingolstadt verband, blieb Brunner verborgen. Dass er hier eine große Liebe getroffen oder auch nur eine kleine Affäre mit der Frau eines Kühlhausbesitzers gehabt hatte, das hatte er ihm auf der Fahrt nicht erzählt.
»Ich konnte ihm übrigens gar nicht schnell genug fahren. Ab zweihundert hat der sich erst richtig wohlgefühlt«, freute Brunner sich, als Meißner sich bei ihm nach der Fahrt erkundigte.
Das Sinnbild an Gutmütigkeit saß ihnen nun wie ein Buddha im Vernehmungsraum gegenüber und rührte noch immer freundlich nickend in seinem Tee.
Erst als Brunner das Aufnahmegerät anschaltete und »Strafsache Eva Maria Helmer« ins Mikrofon sprach, stand der Teelöffel still und das Lächeln des Georgiers wurde etwas säuerlich, als habe jemand einen unanständigen Witz erzählt, der noch dazu nicht einmal besonders gut war. Als Brunner Senaia anschließend zu seinen Personalien befragte und über seine Rechte belehrte, rutschte der Musiker auf seinem Stuhl hin und her. Die Strafsache hatte ihn hellhörig gemacht.
»Sie kannten Eva Maria
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