Eisseele - Schlieper, B: Eisseele
getan hat. Endlich findet sie das funkelnde Paar. Sie nimmt einen. Der reicht für ihr Vorhaben. Sie verlässt das Haus über die Terrassentür, lässt diese angelehnt. Wichtig ist jetzt nur, dass sie nicht von nebenan beobachtet wird. Aber Christian und Daniela sind trotz des guten Wetters nicht im Garten. Hoffentlich sind sie überhaupt zu Hause. Leise geht sie an der Garage vorbei auf die Straße und stellt dabei ihr Handy aus.
Erst nach dem zweiten Klingeln öffnet Christian Schenk ihr.
»Hallo, super, dass Sie da sind«, hechelt Zoe.
»Ich bin Ihre Nachbarin, Zoe. Könnte ich bei Ihnen mal kurz telefonieren. Meine Eltern sind nicht da und ich komme nicht rein.«
»Das Gefühl kenne ich«, brummt Christian Schenk und macht die Haustür weiter auf. Er weist mit dem Arm hinter sich.
»Das Telefon steht auf der Station im Wohnzimmer. Direkt neben dem Fernseher.«
»Vielen Dank«, flötet Zoe und wirft einen kurzen Blick in die Küche. Dort hantiert Daniela Schenk am Herd. Schon ihrem Rücken ist anzusehen, dass ihr Gesicht nicht glücklich aussieht. Christian Schenk folgt Zoe nicht. Sie sieht einfach zu harmlos aus. Niemand kann sich bei ihrem offenen, hübschen Gesicht vorstellen, dass sie hässlich und gemein sein kann. Schnell wählt Zoe ihre eigene Telefonnummer. Dabei geht sie langsam Richtung Couch, den Blick fest auf den Türrahmen geheftet. Während sie ihre eigene Mailbox-Ansage abhört, steckt sie den Ohrring in die Couchritze. Ganz leicht nur. Er soll ja schließlich nicht für immer in den Tiefen des Sofas verschwinden.
Sie drückt auf den roten Hörer und stellt das Telefon wieder in die Ladestation. Sie bleibt im Türrahmen der Küche stehen.
»Danke fürs Telefonieren. Ich habe meine Eltern nicht erreicht.«
»Willst du hier warten?«, fragt Christian Schenk.
Zoe zieht Danielas Rücken zucken. Die hat auf Besuch jetzt wohl gar keinen Bock. Schon gar nicht auf Besuch mit langen schlanken Beinen.
»Nein, danke. Ich besuche einfach noch eine Freundin.«
Sie schleicht zurück an der Garage vorbei über die Terrasse ins Wohnzimmer. Zwar sind die Schenks so mit sich selber beschäftigt, dass die gar nicht mitbekommen hätten, wenn Zoe jetzt fröhlich mit dem Haustürschlüssel geöffnet hätte. Aber sicher ist sicher. Zufrieden lässt Zoe sich auf ihrem Bett nieder. Es tut ihr einfach gut, wenn es anderen auch schlecht geht. Plötzlich durchzuckt sie ein Gedanke. Was, wenn Christian Schenk jetzt aus Neugierde auf Wahlwiederholung drückt, um zu überprüfen, ob Zoe wirklich versucht hat, ihre Eltern auf dem Handy zu erreichen? Dann hört er die Ansage auf Zoes Handy. Das wäre Mist. Doch Zoe hat eine Idee, die ihr wirklich gut gefällt. Sie spricht einen neuen Ansagetext auf ihr Mobilphone.
»Hi, wer immer was zu sagen hat, spreche jetzt oder schweige für immer«, flötet sie gut gelaunt.
Sollte Christian Schenk jetzt anrufen, denkt er, Zoe habe aus Spaß die Mailbox ihrer Eltern bequatscht. Sollte aber Daniela Schenk die Nummer überprüfen, hört sie einmal mehr die Stimme einer jungen Frau, die sie nicht kennt.
»Perfekt«, denkt Zoe noch und rollt sich ganz klein auf dem Bett zusammen.
Auf der Lauer
S ie hat natürlich nicht gesehen, dass Carl in dem Rohbau schräg gegenüber saß. Er hat beobachtet, wie sie ins Haus ging, über die Terrasse zurückkam, zu den Nach barn ging. Er hatte gesehen, wie sie wieder über die Terrasse schlich und dann verstohlen im Haus verschwand. Und er registrierte, wie der Nachbar kurz danach wütend mit dem Auto wegfuhr. Carl wusste nicht, was das zu bedeuten hatte. Aber es bestätigte ihn in seiner Meinung: Zoe war nicht die, die sie vorgab zu sein. Sie hatte eine geheime, wahrscheinlich gemeine Seite. Und das machte sie für ihn noch ein bisschen interessanter.
Zoe ignorierte die Seitenstiche. Sie stampfte, hüpfte und drehte sich. Christa hatte zur Tanzsession heute Kerzen aufgestellt. Viele große und kleine Kerzen über den gesamten Tanzsaal verteilt. Die Vorhänge waren zugezogen, unwirkliche Schatten tanzten über die Wände. Zoe kannte die Choreografie in- und auswendig, sie beherrschte sie im Schlaf. Und so tanzte sie wie in Trance. Schüttelte ihren Körper, warf ihn nach vorne, marschierte zurück, lebte den Rhythmus mit jedem Muskel. Als Christa die Musik abstellte und die Vorhänge langsam aufzog, kam Zoe nur mühsam wieder zu sich. Sie brauchte ein bisschen, um in die Realität zurückzufinden. In der Garderobe rubbelte sie sich nur kurz
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