Eisseele - Schlieper, B: Eisseele
ist, ob ich mit Fynn dahin will.«
»Und? Willst du?«
»Ich weiß es nicht. Was meinst du denn?«
Zoe guckt Saskia fast neidisch an. Wie schön muss es sein, solche Probleme zu haben.
»Ich würde gehen an deiner Stelle.«
»Echt? Warum?«
»Wenn du nicht gehst, wirst du den ganzen Abend überlegen, ob du nicht besser doch gegangen wärst, und mich die ganze Zeit mit SMS nerven. Wenn du gehst, wirst du hinterher wissen, ob es richtig war. Wenn es gut wird, ist gut. Wenn es kacke wird, ist das Thema Fynn damit durch.«
Saskia überlegt. Die Stelle mit den nervenden SMS hat sie wohl überhört. Sie drückt Zoe einen Kuss auf die Wange.
»Du hast recht. Perfekt. Genauso mache ich es.«
Zoe grinst. Sie wird das Gefühl nicht los, dass Saskia nur von jemand anderem hören wollte, dass sie gehen darf. Manche Probleme sind so schnell gelöst, dass sie den Titel eigentlich gar nicht verdienen.
Sie versucht, das Haus durch seine Augen zu sehen. Sie geht von Raum zu Raum. Sie räumt die neueste Ausgabe »Behinderung – kein Hindernis« weg. Am intensivsten inspiziert sie ihr Zimmer. Sie räumt alle Klamotten in den Schrank, sammelt CD-Hüllen ein, stellt Bücher ins Regal. Das Zimmer soll so wenig wie möglich über sie verraten. Sie holt sogar eine graue Wolldecke aus dem Wohnzimmer. Carl soll nicht wissen, wie ihre Bettwäsche aussieht. Das ist ihr zu intim. Sie fragt sich, was er wohl denkt, wenn er in den Raum kommt. Findet er ihn kitschig? Zu mädchenmäßig? Zu kindisch? Wird er sich still und heimlich lustig machen über ihre Poster? Oder wird er es gar nicht still und heimlich machen, sondern laut loslachen? Sie holt Cola, die sie extra gekauft hat, aus der Küche und stellt die Flasche mit zwei Gläsern auf den kleinen Tisch vor der Couch. Bis gerade fand sie die Couch gut. Sie hat ihre Eltern zwei Monate bequatscht, bis die endlich das knallrote Sofa in Form eines Mundes gekauft haben. Jetzt plötzlich findet sie die riesigen Lippen obszön. Mit der Cola und den Gläsern davor sieht es aus wie in einer billigen Absteige. Sie bringt die Flasche wieder runter, stellt sie wieder in den Kühlschrank. Im Wäscheschrank im Keller findet sie nach viel Wühlen, was sie sucht. Die großen Tischdecken für besondere Feste, sprich für lange Tafeln. Die Decken sind wirklich groß. Das müssen sie auch sein, um all den roten Plüsch zu bedecken. Zoe zupft und zieht, bis ihre Couch ganz unter dem Stoff verschwunden ist. Es sieht cool aus. Sie hat das in Filmen gesehen, bei Häusern, die lange leer stehen. Gefällt ihr ganz gut. Das Weiß ist schön neutral, sehr distanziert, angenehm kühl. Sie riecht sich plötzlich. Säuerlicher Geruch steigt unter ihrem T-Shirt hoch. Sie fühlt sich fies. Zehn vor drei. Sie kann nicht in diesem Film aus Schweiß unter Carls Augen und Nase treten. Im Bad zieht sie gleichzeitig Rock und Oberteil aus, stellt sich schon unter den Strahl, obwohl der noch eiskalt ist.
Sie macht gerade den Reißverschluss der Jeans zu, als es klingelt.
»Hi. Oh, hast du extra für mich geduscht? Das ist ja fast zu viel Aufmerksamkeit«, begrüßt Carl sie und fasst für eine Millisekunde in ihre noch feuchten Haare.
»Aber der Rock hat mir eigentlich besser gefallen«, fährt er fort.
»Ich wollte dir die Möglichkeit geben, dass du dich wirklich auf unser Referat konzentrieren kannst und nicht durch Nebensächlichkeiten abgelenkt wirst«, antwortet Zoe kühl.
»Deine Beine sind für mich alles andere als eine Nebensächlichkeit«, kontert Carl ganz ruhig. Zoe fühlt wie sie schon wieder zu schwitzen beginnt.
»Mein Zimmer ist oben. Komm mit.«
»Sind deine Eltern gar nicht da?«
»Nein, wieso? Wolltest du dich vorstellen?«
»Nein, nein. Kann ich beim nächsten Mal ja auch noch machen.«
Beim nächsten Mal?
»Wir müssen kein Buch verfassen. Ich denke, dass wir heute fertig werden«, sagt Zoe schnell.
»Vielleicht kann ich ja auch mal aus einem anderen Grund kommen.«
Sie ignoriert diese Bemerkung und öffnet die Zimmertür.
»Setz dich. Ich hole eben mein Heft.«
Er guckt sich sehr langsam um. Als müsse er gleich mit geschlossenen Augen alles aufzählen, was in dem Raum zu sehen ist.
»Cool«, sagt er irgendwann und Zoe freut sich. Sie ist stolz. Sie merkt erst jetzt, dass sie wollte, dass es ihm gefällt. Sie wundert sich über sich selbst. Sie hat sich sonst doch nie wirklich gefragt, ob oder was jemand an ihr gut findet. Alle fanden sie immer gut. Alle mögen sie. Das ist schon immer
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