Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eisseele - Schlieper, B: Eisseele

Eisseele - Schlieper, B: Eisseele

Titel: Eisseele - Schlieper, B: Eisseele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Schlieper
Vom Netzwerk:
sportlich auf sie gewirkt. Es dauert keine zwanzig Minuten, da nähert er sich schon wieder. Er drückt auf die Klingel und wischt sich mit der Vorderseite des T-Shirts durchs Gesicht. Irgendwann merkt er, dass nichts passiert. Er klingelt noch mal. Und noch mal. Zoe beobachtet ihn wie unter dem Mikroskop. Was wird das überraschte Männchen jetzt tun? Er geht um das Haus rum. Wahrscheinlich guckt er durch die Terrassentür, um festzustellen, dass sein Frauchen nicht im Wohnzimmer ist. Er kommt wieder nach vorne. Klingelt noch mal. Schließlich setzt er sich genervt auf die Treppenstufe. Er sieht durstig aus. Zehn Minuten muss er warten. Dann kommt Frauchen. Zoe macht leise ihre Fenster ganz weit auf. Sie möchte auf jeden Fall auch akustisch mitkriegen, wie es jetzt weitergeht.
    »Wo warst du?«, ruft Christian Schenk als Daniela keuchend am Gartentor stehen bleibt.
    »War auch joggen«, jappst sie.
    »Was? Was soll das denn? Hättest du mir das nicht sagen können? Dann hätte ich vielleicht einen Haustürschlüssel mitgenommen.«
    »Warum sagst du nicht, dass wir dann auch zusammen hätten laufen können?«, fragt Daniela schnippisch zurück.
    »Ich wusste doch gar nicht, dass du auch laufen willst.«
    »Oder weil du dich dann nicht mit Jenny hättest treffen können?«
    »Was? Wer ist Jenny?«
    »Das wollte ich von dir hören.«
    Den Schenks scheint nicht bewusst zu sein, dass sie diese unschöne Unterhaltung vor ihrer Haustür führen. Zoe hat sich ein Kissen genommen und drückt es sich vor den Mund. Sie findet es köstlich.
    »Ich kenne keine Jenny«, behauptet Christian Schenk.
    »Sie scheint dich aber zu kennen. Und deine Telefonnummer. Und sie wusste auch, dass du heute Morgen joggen warst.«
    »Daniela, tut mir leid, aber ich glaube, du spinnst.«
    »Ich spinne? Bilde ich mir etwa ein, dass neuerdings andauernd Frauen bei uns anrufen und nach dir fragen?«
    Daniela Schenk ist ziemlich laut geworden. Zoe kichert. Dann hört sie nebenan die Tür ins Schloss fallen. Schenks streiten sich wohl lieber alleine weiter. Und schon sieht es von außen wieder idyllisch aus. Zoe kann zumindest sicher sein, dass ihre Nachbarn keinen schönen Tag haben werden. Dass sie selber einen Scheißtag vor sich hat, weiß sie schon seit Langem. Heute ist Sommerfest der Selbsthilfegruppe. Ihre Mutter hat schon Unmengen von Muffins und Törtchen gebacken. Kuchen, der von ungelenken und steifen Fingern zerbröselt wird, der alle Rollstühle vollkrümelt, die Hände klebrig macht.
    Zoe kann sich noch gut an den ersten Besuch bei der Gruppe erinnern. Obwohl der schon Jahre zurückliegt. Die Bilder haben sich eingebrannt auf ihrer Festplatte. Sie saß da mit der kleinen Franziska auf dem Arm, selber noch ein kleines Mädchen und starrte die anderen Kinder um sich herum an. Kinder in Rollstühlen, teilweise angeschnallt, offene Münder aus denen Speichel floss. Unnatürliche Kopfhaltungen, Handbewegungen. Am schlimmsten fand sie die Laute. Die kehligen Laute, die den Kindern entfuhren. Und dazu das fröhliche Geplapper der Eltern als Gegensatz. Sie hatte Franziska fest im Arm gehalten, wollte sie beschützen, ihr am liebsten Ohren und Augen zu halten. Was sollte sie hier? Was hatte das alles mit ihrer kleinen süßen Schwester zu tun. Dass mit Franziska was nicht stimmen sollte, hatte sie schnell gemerkt. Alle, die nach der Geburt ins Krankenhaus kamen, strahlten so eine Mischung aus angespannter Fröhlichkeit aus. Ihre Oma brach in haltloses Weinen aus und versicherte Zoe, dass sie sich einfach so freue. Zoe wusste, dass das nicht wirklich der Grund war. Irgendwann schnappte sie das Wort »Nabelschnurbruch« auf. Offenbar war die Leitung zwischen ihrer Mama und dem kleinen Baby kaputtgegangen. Und Zoe wusste genau, wann. Als sie sich im Bad eingeschlossen hatte und sich geweigert hatte rauszukommen. Als ihre Mutter stöhnend im Bett gelegen hatte.
    Zoe war schon mit ihren acht Jahren klar: Sie war schuld.
    Wäre ihre Mutter rechtzeitig im Krankenhaus gewesen, wäre diese Schnur nicht kaputt gegangen. Franziska wäre gesund auf die Welt gekommen, wäre ein ganz normales Mädchen, das jetzt schon in die Schule ginge. Zoe fühlt es wieder heiß in sich hochsteigen. Sie sieht die Bilder wieder vor sich. Fühlt wieder, wie sie auf den kalten Badezimmerfliesen sitzt, hört ihren Vater erst wütend, dann bittend und flehend. Sie hört, wie ihre Mutter sich zur Badezimmertür schleppt. Sie hört sie leise schreien, dann ihren erstaunen

Weitere Kostenlose Bücher