Eisseele - Schlieper, B: Eisseele
dann wieder ins dunkle Wasser abzutauchen. Wie einen Fisch kann Zoe Carl nicht packen. Er entwischt ihren Urteilen, ist immer wieder anders als erwartet. Zoe denkt an die feinen Haare auf seinen Oberarmen, an seine Brust, die sich durch das T-Shirt abmalte. An die ganz kleine Narbe in seinem linken Mundwinkel. Was da wohl passiert ist? Er sieht nicht aus wie jemand, der sich prügelt. Er sieht aus wie jemand, der einmal zuschlägt und das war’s dann.
Mist. Sie hat vergessen ihn zu fragen, woher er ihre Handynummer hat. Und sie rätselt, was er wohl noch alles von ihr weiß.
Sie schreckt fast zusammen, als ihre Mutter ins Zimmer kommt.
»Zoe, Telefon. Saskia ist dran.«
Zoe hat so vertieft mit Franzi Bilderbücher angesehen, dass sie das Telefon gar nicht gehört hat.
»Du glaubst es nicht«, stöhnt Saskia und Zoe geht mit dem Hörer am Ohr in ihr Zimmer. So klingt der Auftakt zu einem längeren Gespräch.
»Was glaube ich nicht?«
»Fynn ist mit so einer Lena zu unserer Verabredung gekommen.«
»Vielleicht steht er auf Dreier«, sagt Zoe gedankenverloren.
»Spinnst du? Was denkt der Typ sich eigentlich? Das ist echt das Allerletzte«, faucht Saskia.
»Vielleicht hat der die Lena zufällig getroffen und die wollte auch gerade in den Zirkus und hat sich einfach eingeklinkt«, schlägt Zoe vor.
»Vergiss es. Er hat sie zu Hause abgeholt. Hat sie mir noch erzählt.«
»War die denn nett?«
»Ist doch scheißegal. Was ist das denn für eine Art, mit einem Mädel zu einem Date zu kommen.«
»Vielleicht war es für ihn ja kein richtiges Date«, überlegt Zoe und beginnt ihre Nägel zu feilen.
»Was denn? Beschäftigungstherapie? Oder die neue Sportart ›Saskia-Verarschen‹?«
»Immerhin weißt du jetzt, dass der Typ nicht infrage kommt. Ist doch schon mal was.«
»Das sieht doch jetzt so aus, als hätte er mich gegen eine andere eingetauscht. Wie stehe ich denn jetzt da?«
Zoe verpasst ihren Einsatz. Sie sagt einfach nichts.
»Bist du noch dran? Oder bist du schon eingeschlafen, weil dich meine Probleme so langweilen?«, keift Saskia.
»Nein, ich bin noch dran. Ich überlege nur gerade, was du jetzt machen kannst«, lügt Zoe und sie merkt, dass ihr Saskias Probleme wirklich egal sind. Dass sie an ihr abperlen.
»Du, meine Mutter ruft. Ich muss schnell runter. Aber ich denke mir was aus«, sagt sie schnell und drückt Saskia weg. Sie hat noch nie ihre Freundin so abgewürgt.
Als später am Abend eine SMS ankommt, stolpert Zoes Herz kurz. Es ist aber Lilly.
Bringst du die Brötchen mit? Du kommst doch am Bäcker vorbei. Danke.
Brötchen?
Zoe muss kurz überlegen, dann taucht der Gedanke ganz langsam auf. Morgen ist Feiertag. Einer dieser freien Donnerstage, deren Anlass sie sich nie merken kann. Wie konnte sie das vergessen? Hätte Lilly sich nicht gemeldet, sie hätte um kurz vor acht vor der Schule gestanden und sich gewundert. Vielleicht hätte ihre Mutter sie aber auch rechzeitig zurückgehalten. Morgen ist wieder Brunch bei Lilly. Mit anschließender Planscherei irgendwo.
Klar , antwortet sie schnell.
Abtauchen
L illy hat wieder üppig aufgetragen. Saskia schleckt schon einen Teelöffel Honig ab, während sie ihr schnell die Brötchentüte aus der Hand nimmt. Lillys Ma macht sogar Pancakes mit Ahornsirup und öffnet lautstark eine Flasche Prosecco. Jedes Mädel bekommt zwar nur ein halbes Glas zum Anstoßen, aber es kribbelt. Als der Boden unter einer Schicht von Brötchenkrümeln fast nicht mehr zu sehen ist, steht Lilly auf, hält sich ihren nicht vorhandenen Bauch und stöhnt: »Los, aufs Rad. Schnell! Sonst wandern diese Kalorien sofort an unangenehm sichtbare Stellen.«
Zoe würde sich jetzt lieber in einen abgedunkelten Raum legen und zwei bis vier DVD s gucken, aber sie fügt sich. Lustlos geht sie hinter Kim, Saskia, Lilly, deren neuer Freundin Jenny und Daniel samt Tim in die Einfahrt, wo die Räder parken.
»Wohin?«, wirft Kim in die Runde.
»Na, zum See runter, oder? Im Freibad trampeln die uns jetzt tot. Im Kinderbecken ist das Wasser bestimmt schon gelb und im großen Becken kriegt man entweder einen Ball an den Kopf oder wird von einer Badehauben-Oma angepflaumt«, meint Lilly.
»Ich fahre auf gar keinen Fall zum See«, giftet Saskia.
Das Seebad ist direkt neben dem Gelände vom Ruderclub.
»Wieso? Bis dahin geht es doch fast nur bergab«, mischt Daniel sich ein.
»Halt den Mund. Das ist hier eigentlich eine Mädels-Veranstaltung. Tim und du, ihr seid nur geduldet,
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