Eisseele - Schlieper, B: Eisseele
Saskia und Kim dran. Sie holpern durch ihren Text, können einzelne Begriffe nicht aussprechen, fallen sich gegenseitig ins Wort.
»Ihr habt zumindest viel zusammengetragen. Wenn auch nicht gut vorgetragen«, ist der Trummsche Kommentar danach. Damit sind Saskia und Kim vollauf zufrieden.
»Kannst du mir eigentlich mal verraten, wofür du mal ein sogenanntes Alibi brauchst?«, will Kim wissen, als sie nach der Schule zu den Fahrrädern schlendern.
»Keine Ahnung. Weiß ich doch jetzt noch nicht«, lacht Zoe zurück.
»Heute wäre auf jeden Fall schlecht bei mir. Heute Abend habe ich nämlich schon was vor«, mischt Saskia sich ein.
Zoe und Kim grinsen sich an. Keine von beiden sagt etwas. Saskia hält es keine zehn Sekunden aus.
»Wollt ihr nicht wissen, was ich vorhabe?«
»Doch natürlich. Aber wir wollten nicht so indiskret sein und fragen«, sagt Zoe und grinst.
Saskia imitiert kurz einen Schmollmund. »Ich gehe in den Zirkus.«
»Warum? Da laufen alte Männer mit Schminke im Gesicht rum und tun so als seien sie ein Clown, Osteuropäerinnen werden da wie im modernen Sklavenhandel zu Trapeznummern gezwungen und im schlimmsten Fall kackt so ein Pferd direkt vor dir aufs Sägemehl. Warum tust du dir denn so was an?«, will Kim entgeistert wissen.
»Fynn hat mich eingeladen.«
»Und das wiegt alles auf, was ich vorher gesagt habe?«
»Ehrlich gesagt: Ja.«
»Bist du jetzt scharf auf den oder was?«
»Die Alternative wäre, den fünften Abend in Folge im Chatroom abzuhängen oder mit meinen Eltern vor der Glotze. Im schlimmsten Fall nutzen die die Gelegenheit, mal in Ruhe mit mir zu reden. Das wollen die andauernd in letzter Zeit. Kaum sind wir länger als fünf Minuten zusammen in einem Raum, wollen sie in Ruhe mit mir reden. Eigentlich müsste ich schon aussehen wie ein Sieb, so wie die mich dauernd löchern.«
Zoe hat sich aus dem Gespräch rausgehalten. Sie drückt Saskia nur kurz: »Viel Spaß. Und denk dran: Hinterher bist du schlauer.«
Der Fahrradmarathon am Abend, das frühe Aufstehen, das Lampenfieber vor dem Referat. Alles hat an Zoe gezerrt. Sie legt sich zu Hause direkt ins Bett. Sie versucht, die Rollläden ganz zu schließen. Doch durch ein paar Ritzen dringt die Sommersonne in ihr Zimmer. Sie rollt sich unter der Decke zusammen, hat kurz das Gefühl als würde sie trudeln und fällt so in einen Schlaf. Eigentlich weiß sie, dass es nicht gut ist, wenn sie sich mittags hinlegt. Dass dann oft die Bilder sich zwischen Wachsein und Schlaf schieben. Sie quälen, sie weder richtig aufwachen noch abtauchen lassen. Sie hatte gedacht, dass sie heute müde genug ist. Doch sie hat sich getäuscht. Ihre Gedanken sind fast stumm, das Licht in ihrem Kopf ist fast aus, da kommen die Bilder. Sie sieht sich selber als fremde Person. Sieht das Mädchen wütend, ängstlich im Badezimmer hocken. Es hält sich die Ohren zu. Unter der Tür kommt Flüssigkeit rein. Sie wird in ihrer Vorstellung zu Blut. Alles ist plötzlich voller Blut. Zoe sieht das verzerrte Gesicht des Vaters vor der Tür. Sie sieht auch Franzi. Klein wie ein Baby, mit dem Gesicht von heute. In ihrem Traum spricht sie. Immer nur ein: »Du.«
Irgendwann schafft Zoe es, sich an die Oberfläche zu kämpfen, wird wach in einem kalten Schweißfilm. Sie trinkt eine alte Flasche Wasser, die noch neben dem Bett stand auf ex, zieht angewidert ihre Klamotten aus, zieht das stinkende Bettzeug ab und duscht lange. Sie hat das Hupen der SMS nicht gehört, sieht die Nachricht nur durch Zufall, weil sie auf dem Handy die Uhrzeit ablesen will.
Will mich bedanken. Um vier vorm Capitol? C.
Woher hat Carl ihre Handynummer? Was ist das Capitol? Was soll das? Nur in ein Handtuch gehüllt fährt sie den Rechner hoch. Das Capitol scheint ein uraltes Kino in der Altstadt zu sein. Da, wo die Stadt nicht nur alt, sondern auch hässlich ist.
Ist doch blöd, bei dem schönen Wetter im dunklen Kino zu sitzen, redet sie sich ein und zieht die Rollläden hoch. Dabei fällt das Handtuch. Und ganz plötzlich mag sie den Gedanken. Sie denkt an das Gefühl heute Morgen. Wie Carl vor der Klasse stand. Die alte Jeans wie immer. Ein verblichenes T-Shirt. Die Haare nachlässig. Aber er hatte so eine Aura. Als sie neben ihm da vorne stand, war ihr zum ersten Mal aufgefallen, dass Carl größer war als sie eigentlich dachte. Sicher einen halben Kopf größer als Zoe mit ihren fast 1 , 75 Meter. Sie hatte gesehen, wie eng die Ärmel seines Shirts sich um seine Oberarmmuskeln
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