Eisseele - Schlieper, B: Eisseele
Schließlich lädt sie dich ein.«
»Ist das alles?«
»Könnte sein, dass da ein Typ aufkreuzt, den Saskia kennt. Zu dem bist du bitte höflich und eingebildet. Falls der Typ mit einem Mädel aufkreuzt, kannst du zu der ruhig ein bisschen charmant sein«, weist Zoe an.
»Ich weiß nicht, was das für ein Kasperletheater wird, aber langsam werde ich neugierig«, gibt Julian zu.
Immer, wenn Zoe zu Carl rüber sieht, was sie so selten wie möglich macht, spürt sie wieder dieses Gefühl von Nähe mitten in der Gefahr. Wie sie Seite an Seite am Abgrund saßen. Ihre Schultern hatten sich nur ganz leicht berührt. Wahrscheinlich hatte Carl es durch die dicke Jacke gar nicht bemerkt. Zoe hatte seine Jacke, seine Haut durch den dünnen Stoff ihres Shirts wie Feuer gefühlt. Es war von der Schulter aus über ihren ganzen Körper gelaufen. Aber vielleicht kam dieses Kribbeln auch von der Tiefe des Lochs, das sie anlachte.
Saskias Anruf kommt um kurz nach sieben. Sie schreit so in den Hörer, dass Zoe das Telefon auf Abstand halten muss. Offenbar war die Aktion ein voller Erfolg.
»Du hättest seinen Blick sehen sollen. Einfach super.«
Offenbar spricht sie von Fynn.
»Er war total irritiert. Irgendwann ist Julian aufs Klo gegangen, da hat er mich allen Ernstes gefragt, warum ich in Begleitung gekommen bin. Der hat’s nötig. Da habe ich ihn mal ganz kurz an den Zirkusbesuch erinnert und ihm mitgeteilt, dass das zwischen uns ja keine richtigen Verabredungen sind, weil er eh viel zu jung ist. Der hat mich angeguckt wie ein Hund, dem man das Frolic wegnimmt.«
»Und dann ist er mit eingezogenem Schwanz gegangen?«
»Er hat erst noch rumgefaselt. Dass die Nachbarin einfach von alleine mit in den Zirkus gekommen sei. Und er sie nur abgeholt hätte, weil die abends alleine immer Angst hätte. Er hätte das auch doof gefunden und so weiter. Ich habe ihm dann sehr kühl mitgeteilt, dass es mir ziemlich egal ist, was er so mit seiner Nachbarin macht.«
»Und dann hast du dir zur Feier des Tages den großen Erdbeerbecher gegönnt, oder?«
»Spinnst du? Ich habe brav ein Wasser getrunken. Den Erdbeerbecher hätte ich mir gar nicht leisten können, bei dem was Julian verspeist hat. Aber mach dir keine Sorgen, das war es wert.«
Zoe hatte eigentlich nicht vorgehabt, sich Sorgen um Saskias Geld zu machen, sagte aber nichts dazu. Ihre Freundin war glücklich, hatte ihr Selbstwertgefühl wieder in den positiven Bereich gebracht. Allein das zählte.
Ein bisschen zu gut gelaunt
I hr Kopf schmerzt, als sie in den Schulbus einsteigt. Die Nacht war fürchterlich. Franzi war gestürzt, als die Mutter sie ins Bett heben wollte. Sie hatte sich offenbar den Fuß verstaucht. Außerdem hatte sie einen dicken blauen Fleck auf dem Oberschenkel. Sie hatte die ganze Nacht geweint, war immer wieder kurz eingenickt, um dann brüllend aufzuwachen. Immer wieder war Zoe von dem Geschrei und den hin- und herlaufenden Eltern wach geworden, hatte die Schuld wie eine tonnenschwere Decke auf sich gefühlt, war wieder eingenickt, hatte fürchterliche Träume. Um fünf Uhr war sie aufgestanden, hatte versucht die nagenden Gedanken mit Musik zum Schweigen zu bringen. Es war ihr nicht gelungen.
Vielleicht hätte Enya Alt sie an diesem Morgen weniger genervt, wenn sie ausgeschlafen gewesen wäre.
Wahrscheinlich aber nicht.
Die neue Englischlehrerin kommt wie ein gut gelaunter Flummi in die Klasse. Sie federt so in den Schritten, dass es fast aussieht, als würde sie hüpfen. Sie setzt sich auf das Pult und lässt die Beine baumeln. Ganz still wartet sie, bis alle ruhig sind. Zoe kennt diesen Typ Lehrer. Das sind die Frischlinge von der Uni, die alle noch voller guter Vorsätze sind. Die sich alle vorgenommen haben, dass sie nie so werden wie ihre Lehrer früher waren. Sie wollen die Schüler verstehen, partnerschaftlich auf sie zugehen. Zoe guckt nach unten. Sie kann den Anblick der Lehrerin nicht ertragen. Sie mag Lehrer, bei denen man weiß, woran man ist. Eher die strengen Typen. Die sind klar und eindeutig. Die sind Chef. Diese Enya Alt will eine von ihnen sein und irgendwann wird sie dann trotzdem die Fünfen verteilen. Irgendwann wird sie plötzlich doch Chef sein, aber ganz partnerschaftlich. Haha.
Die Neue stellt sich erstmal vor. Erzählt, wo sie geboren wurde, wo sie zur Schule gegangen ist. Warum sie Lehrerin geworden ist (ich wollte einfach immer viele Ferien haben. Noch mal: Haha), wo sie studiert hat, dass sie gerne Volleyball spielt und
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