Eistod
nahm die letzten Stufen. Als er oben angelangt war, standen sie sich gegenüber. Kathrin sah verändert aus. »Was machst du denn hier, ich meine …«
»Hier.« Sie streckte ihm ein kleines, längliches Päckchen entgegen. Blaues Papier und eine rote Schleife. »Frohe Weihnachten, Papa!«
Der Kommissar ging auf Kathrin zu und umarmte sie. Eine Weile standen sie schweigend da. Mit der Hand fuhr er ihr immer wieder durchs Haar. Sie trug es kürzer, seit er sie das letzte Mal gesehen hatte. Zwei Monate waren seither vergangen, schätzte er. »Du hast die Haare geschnitten?«
»Und gefärbt«, kam es stolz. »Sag, wie findest du’s?« Während sie sich von ihm löste, ging wieder das Licht aus.
»Warte …«, einen Augenblick später klackte es wieder. »Ich weiß jetzt, wo der Schalter ist«, sagte sie.
Kathrins blonde Locken waren kurz und schwarz. Eschenbach musterte sie verwundert. Dass ihm das nicht gleich aufgefallen war. »Schön«, log er. »Peppig und frech.«
»Echt?« Sie sah ihn zweifelnd an. »Mam findet’s doof.«
»Tja«, Eschenbach zuckte die Schultern. »Geschmäcker sind halt verschieden.«
Sie nickte.
»Komm, wir gehen rein, bevor sie uns wieder das Licht abdrehen.« Eschenbach schloss die Wohnungstür auf.
»Ich muss gleich …« Sie sah auf die Uhr.
»Wenigstens eine Cola«, brummte der Kommissar. Er hatte das Licht angemacht und war gerade dabei, seinen Mantel in die Garderobe zu hängen.
»Echt, Papa. In zwanzig Minuten fährt mein Zug.« Kathrin stand nun ebenfalls im Flur, die Wohnungstür offen. »Mama wird sauer.«
»Wir rufen sie an … sagen ihr, dass du den nächsten Zug nimmst.«
»Habe ich schon, Papa. Geht nicht.«
»Ach was.« Der Kommissar suchte das Telefon.
»Ehrlich, ich habe es ihr versprochen …« Kathrins Blick blieb an Eschenbachs Hemd mit den Weinflecken hängen. »Wolfgangs Eltern kommen, Opa und Oma auch. Sie sind schon da. Du kennst Mama … Heiligabend ist ihr das Wichtigste. Und morgen früh fahren wir für ein paar Tage ins Engadin … so wie das letzte Mal, als du noch dabei warst.« Sie winkte mit dem rot-blauen Päckchen, das sie noch immer in der Hand hielt.
»Okay.« Eschenbach schluckte. Er dachte daran, wie schön es immer gewesen war, zusammen mit Kathrin, Corina und ihren Eltern. Wie liebevoll Corina den Weihnachtsbaum geschmückt hatte und wie sie lachten, wenn er beim Singen die Töne nicht fand. »Magst du Wolfgang eigentlich?«, fragte er.
»Der ist nett.«
»Nett also«, murmelte er.
»Und wenn ich die Prüfungen fürs Gymnasium schaffe, dann schenkt er mir vielleicht ein Pferd, hat er gesagt.«
»Ach so.« Eschenbach wollte noch etwas sagen, zuckte die Schultern und ließ es bleiben.
»Dein Geschenk, Papa!« Sie steckte es ihm in die Hemdtasche. »Ich hoffe, es sind die richtigen.«
»Du bist die Richtige, das ist die Hauptsache«, sagte er und gab ihr zum Abschied einen Kuss auf die Stirn. »Und pass auf dich auf, ja?«
»Versprochen.« Sie hob den Daumen und ging zum Ausgang.
Die Wohnungstür stand noch immer offen. Eschenbach hatte draußen das Klacken des Lichtschalters gehört und Kathrins Schritte. Dumpfe feste Tritte, die beim Herunterlaufen jede zweite Stufe übersprangen. Eine Weile wartete er und fragte sich, ob er es hören würde, wenn unten im Erdgeschoss die Haustür ins Schloss flöge. Aber er vernahm nichts mehr.
Eschenbach setzte sich auf die Couch, nahm ein Magazin und blätterte darin. Es ging eine Weile, bis er merkte, dass er mit den Augen zwar den Buchstaben folgte, aber mit den Gedanken ganz woanders war. »Keine Sorge, ich werd mich schon nicht gleich aufhängen«, hatte er immer wieder beteuert, als ihn seine Freunde über die Festtage zu sich einladen wollten. »Ich bin um die paar ruhigen Tage froh und werde die Zeit zum Lesen nutzen.«
Eschenbach legte das Magazin wieder weg. Er starrte an die Wand, dann auf die schwarze Scheibe seines Fernsehers. Einen Moment überlegte er sich, ob er jetzt noch zu Christian fahren sollte; ins Hotel Saratz nach Pontresina. Oder zu Georg ins Burgund, in sein altes Bauernhaus. Durchs Fenster sah er, wie es schneite. Für heute war es zu spät.
Nachdem er ein Bad genommen und drei Stunden geschlafen hatte, ging es ihm besser. Er beschloss, sich nicht mehr darum zu kümmern, dass Heiligabend war. Er stellte sich vor, es wäre irgendein Tag. Und schließlich hatte er einen Fall: die Sache mit dem Crazy Girl warf eine ganze Reihe Fragen auf.
Mit Mantel und
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