Eistod
wenn die Lesart eines Wortes eindeutig bestimmt werden soll. Es gibt insgesamt acht solche diakritische Zeichen, Punkte, Striche, Vögelchen, Füßchen et cetera. Man setzt sie oberhalb oder unterhalb eines Wortes.«
Der Offizier kam mit dem Data-Tape, auf dem das Original gespeichert war. Es verging eine Weile, bis sie es eingelesen hatten.
Nun waren es sechs Augenpaare, die Schwinn über die Schultern lugten. Es war unmöglich, etwas an den Dokumenten zu verändern, ohne dass es bemerkt würde.
Schwinns Handflächen waren feucht geworden.
»Das ist ja richtig spannend«, sagte Heidegger.
»Allerdings.« Schwinn rieb sich die Hände an den Hosenbeinen, dann nahm er einen Bleistift. »Da haben wir’s – sehen Sie?« Er zeigte auf den Text. »Es muss Mihail Kogalniceanu heißen, das ist der Name des Stützpunktes. Da hat es tatsächlich ein »Füßchen« weggeputzt. Kann passieren.« Schwinn lehnte sich zurück und schwieg einen Moment.
»Jetzt können Sie’s ja übersetzen«, meinte Heidegger.
»Genau«, Rhym nickte. »Ihr macht das schon …« Er zog eim Päckchen Philip Morris aus der Jackentasche und verließ den Raum.
»Okay. Dann werde ich jetzt …« Schwinn hoffte, dass Heidegger und der Offizier Rhym folgen oder sich wenigstens hinsetzen würden. Es geschah nichts dergleichen.
Schwinn startete das Programm für Arabisch und ließ die Texte, einen nach dem andern, durchlaufen. Danach begann er die Entwürfe in deutscher Sprache zu überarbeiten. »Ich brauch dafür vielleicht noch zwei Stunden«, sagte er.
»Schon recht«, brummte Heidegger. Er wies den Offizier an, sich zu entfernen, während er selbst weiterhin interessiert zusah, wie Schwinn am Text feilte.
»Den Sportbericht können wir uns schenken«, sagte Heidegger, als Schwinn sich an den dritten Bericht machen wollte. Und zum Schluss meinte er noch: »Das waren jetzt aber nur vierzig Minuten, die Sie gebraucht haben.«
»Manchmal geht’s eben schneller«, sagte Schwinn. Er hatte Schweißtropfen auf der Stirn.
Heidegger nickte, dann rief er Rhym. Dieser kam mit einem Kuvert in der Hand und überreichte es Schwinn. Die beiden Männer sahen sich kurz an.
»Das wär’s dann also«, meinte Heidegger. »Im Kuvert finden Sie übrigens einen Printout der Berichte – des arabischen Originals und Ihrer Übersetzung. Wir möchten, dass Sie es sich nochmals genau anschauen, der Kontrolle halber. Sollte etwas nicht korrekt sein, melden Sie es. Ansonsten vernichten Sie den Bericht. Er ist als geheim klassifiziert.«
»Verstanden«, sagte Schwinn. Dann erklärte Heidegger die Sache für beendet.
Fünf Minuten später schrieb Schwinn Namen, Dienstgrad, Datum und Uhrzeit ins Ausgangsjournal und verließ das Gebäude.
Der Motor des Wagens lief schon, als er den Parkplatz erreichte.
»Ist aber lange gegangen«, sagte der Fahrer, nachdem er die Beifahrertür geöffnet hatte.
»Stabsübungen … immer dasselbe halt.« Schwinn stieg ein.
Er zweifelte, ob der Fahrer tatsächlich glaubte, dass der Schweizer Generalstab an Heiligabend Übungen abhielt. Er streckte die Beine.
Schweigend fuhren sie durch die nächtliche Winterlandschaft zurück nach Heimenschwand. Schwinn merkte, wie die Spannung in seinem Körper langsam nachließ. In seinem Kopf drehten sich die Ereignisse der letzten Stunden. Heidegger musste den Namen gesehen haben, da gab es kaum Zweifel. Warum hatte er nichts gesagt? Oder hätte er Heidegger von sich aus darauf ansprechen sollen? Erwartete ein Einsternegeneral der Schweizer Armee dies? War es ein Test? Er öffnete den Umschlag. Aber es waren nur die Dokumente drin, wie Heidegger gesagt hatte. Natürlich würde er sie nochmals kontrollieren, dachte Schwinn. Auch wenn er sich sicher war, dass die Übersetzung stimmte, ein gutes Gefühl hatte er nicht.
Vor der Unterkunft in Heimenschwand hielt der Wagen an. Schwinn stieg aus und wollte schon die Tür zuschlagen, als ihm der Mann am Steuer zurief:
»Vergessen Sie Ihre Aktentasche nicht.«
Schwinn sah auf die dünne, feldgraue Ordonanzmappe, die ihm der Fahrer entgegenstreckte. »Ich hatte gar keine dabei«, erwiderte er.
Der Mann suchte mithilfe der Innenbeleuchtung des Wagens das Namensschild. »Sie haben recht«, sagte er. »Es ist die von Oberleutnant Meiendörfer. Der muss sie heute Nachmittag liegen gelassen haben, als ich ihn in Zimmerwald abgeholt habe.«
»Der war auch in Zimmerwald?« Schwinn sah den Fahrer irritiert an.
»Genau. Die haben vermutlich zu wenige
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