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Eistod

Eistod

Titel: Eistod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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Mütze verließ er seine Wohnung.
    So aufgeregt die Stadt um die Mittagszeit gewirkt hatte, so ruhig war sie am Abend. Beim Rennweg nahm er die Tramlinie 13 und fuhr bis zum Zwielplatz ins Quartier Höngg; dann stieg er aus. Auf einem Stadtplan beim Gemeindehaus suchte er die Straße, in der Martin Zgraggen gewohnt hatte. Er war zu früh ausgestiegen.
    Es blies ein kalter Wind. Eschenbach hustete. Eine knappe Viertelstunde ging er durch leere Straßen. Hie und da vernahm er Musik aus einem geöffneten Fenster oder sah den Autos nach, die jemanden abgeholt hatten oder mit Gästen vorfuhren.
    Die Szene bei Grieder kam ihm wieder in den Sinn. Obwohl der Kommissar erst dazugekommen war, nachdem man den Toten weggebracht hatte, sah er jetzt den Penner vor sich, wie er unter dem Torbogen gelegen und mit glasigen Augen ins Nichts gestarrt haben musste.
    Es war eine Scheißidee gewesen, hierherzufahren. Eschenbach konnte sich nicht erinnern, wann er sich zum letzten Mal so verlassen vorgekommen war.
    Vor einem Wohnblock mit frisch gestrichener, grauer Fassade blieb er stehen. Zur Sicherheit schaute er nochmals auf den Zettel mit Zgraggens Adresse.
    Die paar Stufen, die hinunter zum Eingang und den Briefkästen führten, waren frei geschaufelt und großzügig mit Streusalz gepudert. Die Tritte glänzten dunkel. In einem Beet daneben, unter einem mit Schnee behangenen Tännchen, glitzerte eine Lichterkette.
    Herr Pellegrini vom Parterre hatte einen Schlüssel. Der Hausmeister trug einen schwarzen Anzug mit Fliege. Im Hintergrund hörte man Kindergeschrei und eine Show auf RAI DUE.
    »Gestern Morgen hat noch gebracht Geschenke für meine Kinder, Herr Zagge.«
    Eschenbach versicherte Pellegrini, dass er schon allein zurechtkommen würde, und fuhr mit dem Aufzug in den vierten Stock.
    Die Wohnung war ein Provisorium aus zwei Zimmern: Kisten mit Büchern standen gestapelt in einer Ecke im Flur; an einer Kleiderstange hingen saubere Hemden und ein halbes Dutzend dunkler Anzüge. Ein zusammengeklapptes Bügelbrett stand im Wohnzimmer an der Wand und ein halb aufgebauter Schrank im Schlafzimmer. Obwohl alles aufgeräumt, ordentlich hingestellt oder gestapelt war, schien die Wohnung verwahrlost; nichts war fertig.
    In der Küche stand ein Ordner mit bezahlten Rechnungen. Alphabetisch sortiert. Und auf einem Regal stapelten sich fünf Packungen desselben Medikaments: Prozac – it brightens up your mind! las Eschenbach. Die Verpackung sah aus wie die eines Waschmittels. Vielleicht konnte Salvisberg vom Gerichtsmedizinischen Institut etwas damit anfangen, dachte Eschenbach und steckte eines der Päckchen ein.
    »Wann ist Herr Zgraggen denn eingezogen«, wollte er vom Hausmeister wissen, als er den Schlüssel zurückbrachte.
    »Lange, lange …«, sagte dieser und legte die Stirn in Falten. »Zwei Jahre. Vielleicht drei. Ich muss gehen schauen …«
    »Lassen Sie nur.« Der Kommissar winkte ab. »Wir melden uns nach Weihnachten.«
    »Buon Natale, Commissario!«
    »Buon Natale auch.« Eschenbach stapfte die Treppen hoch zur Straße. Die Bilder vom Crazy Girl kamen in ihm hoch; das Blut und der ganze Mief. Und morgens hatte Zgraggen den Kindern noch Geschenke gebracht. Er wusste nicht, wie er das Ganze zusammenfügen sollte.
    Vielleicht ist das Leben doch nur ein Provisorium.

5
    »Sie sind also der Spezialist fürs Arabische«, sagte der Mann, der sich Schwinn als Thomas Rhym vorgestellt hatte. Der Mercedes, dachte Schwinn und räusperte sich.
    »Korporal Schwinn ist Technischer Unteroffizier einer EKF-Kompagnie, stationiert in Heimenschwand«, präzisierte Divisionär Heidegger. »Und ja, Korporal Schwinn kann Arabisch – in Wort und Schrift.«
    »Aha.« Rhym nickte. Sein Blick verriet eine Mischung aus Verwunderung und Neugier.
    »Und er war sofort verfügbar«, kam es vom Divisionär, der die leichte Irritation auf Rhyms Gesicht bemerkt hatte.
    »So ist es«, sagte Schwinn.
    Nach der kurzen Begrüßung führte man ihn in einen kleinen, hellen Raum. Die Holztäfelung an der Decke war mit weißer Farbe überstrichen und der graue Linoleumboden in Schweizer Militärzentralen längst ein Klassiker. An kahlen Wänden standen Tische mit Hochleistungsrechnern. Vier Arbeitsplätze mit Bildschirmen und einen kleinen Besprechungstisch zählte Schwinn. Ein Operationssaal für Daten, dachte er.
    »Ich möchte gleich zur Sache kommen«, sagte Heidegger, als sie am Tisch Platz genommen hatten. »Die Auswertung der Onyx -Daten aus den letzten

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