Eistod
waren so kurz vor dem Ziel, und jetzt das. Keine gute Nachricht. »Hat Winter etwas gesagt?«
»Er ruft jeden Tag an, ob wir etwas ’erausgefunden ’aben. Und gestern war er den ganzen Nachmittag ’ier im Labor. Er sagt nicht viel.«
»Hm.« Schwinn stand langsam auf. »Lässt du mich wissen, wenn ihr etwas gefunden habt?«
»Ja, sicher.« Chapuis klang müde. Er hatte dunkle Schatten unter den Augen.
Es war kurz nach acht, neblig und schwarz, als Schwinn denselben Weg wieder zurück Richtung Zürich fuhr. Glenn Gould spielte wieder und mittlerweile betrug die Verspätung im Vergleich zum ursprünglichen Zeitplan eine volle Stunde. »Wo bist du?!« stand auf dem Display seines Handys. Es war bereits die zweite SMS von Denise.
Schwinn hielt nicht viel von Gefühlsduselei. Aus diesem Grund hatte er sich auch nie auf eine echte Beziehung mit einer Frau eingelassen. In diesem Punkt kam ihm Denise entgegen. Sie war verheiratet und das war geradezu ideal. Das Einzige, was sie miteinander verband, war Sex. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Er brauchte eine knappe Dreiviertelstunde zurück bis zum Dolder.
Das Hotel lag auf demselben Hügel wie die ETH und protzte mit der Üppigkeit einer reichen alten Dame. Auf dem Parkplatz stand Nobelkarosse eng neben Nobelkarosse. Schwinn brauchte eine Weile, bis er einen Platz fand, an dem er seinen alten VW abstellen konnte. Er nahm das Kuvert mit der Liste aus dem Handschuhfach, tippte eine Nachricht für Denise in sein Handy und stieg aus.
Auf halbem Weg zum Eingang piepte es zurück. »Ich warte bei der Garderobe, Kiss, D.«
Denise Gloor war in festlicher Aufmachung. Schwinn sah die Frau des Stadtrats schon von Weitem. Sie trug ein enges, braunes Strickkleid, das ihr nur knapp über die Knie reichte; ihre blonden Locken hatte sie kunstvoll hochgesteckt. »Die Veranstaltung ist gleich zu Ende«, sagte sie mit einem zerknirschten Gesichtsausdruck. »Dabei habe ich uns extra ein Zimmer reserviert.«
»Es ging nicht anders, sorry.« Schwinn legte das Kuvert auf die Garderobenablage und zog die Liste heraus. »Alles Namen, mit denen ich nichts anfangen kann. Vielleicht kannst du bei Kurt im System mal nachsehen …« Bevor sie etwas sagen konnte, fasste er Denise um die Hüfte, zog sie eng an sich heran und flüsterte: »Du bist mein blondes Gift.«
Sie drückte ihm ein Knie zwischen die Schenkel.
Einen Stock weiter oben debattierte der rechte Flügel des Zürcher Freisinn darüber, ob das Kopftuchverbot für muslimische Frauen ins Parteiprogramm aufgenommen werden sollte oder nicht. Kurt Gloor war dagegen. In einem pointierten Votum sprach er sich für die Selbstbestimmung der modernen Frau aus. Aller Frauen! In allen Kulturen! Ungeachtet deren, wie er meinte, nicht immer selbst gewählter Religionszugehörigkeit. Es hagelte Applaus und Zustimmung.
»Du willst tatsächlich hier?«, fragte Schwinn und sah sich um.
»Warum nicht?« Denise zog ihn am Gürtel nach hinten, zwischen die Kleiderstangen. »Die ganze Zeit diskutieren die über Kopftücher und ich hab kein Höschen an. Kannst du dir das vorstellen?«
Schwinn stellte sich Kurt Gloor vor, wie er kam und seinen Mantel verlangte: »Den dunkelblauen bitte!« Und er würde – während Denise ihm einen blies – hinter hundertfünfzig dunkelblauen hervorlugen und rufen: »Ich komme gleich!«
»Konzentrier dich bitte!«, nuschelte sie an seiner Hose.
»Wir gehen aufs Zimmer, Denise.« Er blickte an sich hinunter, sah in ihre lebensfrohen blauen Augen und dorthin, wo ihr Lippenstift Spuren hinterlassen hatte. »Nicht hier«, murmelte er. Dann zog er sie hoch.
20
Es war ein schöner Abend mit Kathrin gewesen. Mit einem Kissen im Rücken und angewinkeltem Kopfende hatte sie im Spitalbett gesessen und ein komplettes Menu vertilgt: Vorspeise, Hauptspeise, Nachspeise. Ihr fiel die Decke auf den Kopf und sie wollte endlich raus aus dem Spital. Deshalb müsse sie essen – viel essen, habe der Arzt gemeint.
Kurz nach neun war Eschenbach nach Hause gekommen und gleich in den Keller gestiegen. Hinter dem Schlauchboot, zwischen Kathrins Puppenstube und dem leeren Aquarium hatten sie gestanden. Zwei-Meter-fünf-Latten mit Rostkanten und einer Tourenbindung aus dem letzten Jahrhundert. Von den Schuhen keine Spur. »Miet dir eine Ausrüstung«, hatte Kathrin ihm schon im Voraus geraten. »Heute sind die Skier tailliert wie die Hemden. Und eine Sicherheitsbindung brauchst du auch – so wie du fährst!«
Das Einzige, was der
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